Erinnerungen an Hein Heckroth

von Dr. Günther Rühle
Ehrenpräsident der Akademie der Darstellenden Künste, Frankfurt am Main


Erinnerung ist eine sehr ursprüngliche und lebenssichernde Kraft. Jedes Lebewesen, das zu Futterplatz und Tränke zurückstrebt, zeigt es uns. Erinnerung ist auch eine kulturelle Kraft... Sie führt zum Nachdenken im Rasen der Zeit und hält uns vor Augen, dass wir auch im Fortschreiten Erben sind. Erinnerung ist auch eine Form der Dankbarkeit für Geleistetes und Geschenktes. Sie nimmt das Gewesene mit in die Zukunft. Unter uns, mit uns lebte Hein Heckroth. Maler und Bühnenbildner, ein besonderer Mensch, mit klugen Augen, freudig-gütigem Wesen, arbeitsfroh, mit starker und formender Phantasie. Seine Lebenszeit betrug neunundsechzig, seine Schaffenszeit fünfzig Jahre. Er hat zwei Weltkriege erlebt, die Kunstexplosion von 1910, die bis ins vierte Jahrzehnt seines Jahrhunderts in Deutschland dauerte, das Exil in England, dann in Australien ertragen, meistern und die Millionen von mutwillig Getöteten in sein Bewusstsein aufnehmen müssen. Und hat dann noch die Rückkehr ins Land der Täter gewagt, in dem ein Teil seiner Bilder zugrunde ging.

Wer die Brüche im Leben und in der Arbeit so besteht, war begnadet mit Lebenskraft und mit der Gabe, sich selbst neu ordnend, die Zukunft immer neu und immer wieder mit seinen Mitteln zu fassen. Ausgeliefert den Schrecken gibt auch die grausigste Zeit dem, der bildnerisch denkt, seine Gesichte. Wer menschlich fühlt in den Zeiten der Umstürze, dem dringt die Angst in die Bilder. Wer das Rasen des Zeitstroms empfindet, der auch die Bilder verwandelt, sucht mitgerissen die Fixierung im Werk, das eben dieser Zeitstrom durchfließt. Der Bildersaal des Hein Heckroth ist nicht die Dokumentation eines Malers, der, wie Max Beckmann oder Max Ernst, die Zeit an sich riß, um ihr s e i n Bild von ihr entgegenzuhalten. Der Bildersaal, den Hein Heckroth hätte errichten können, enthält keine Bild-Ballungen, keine visionären Analysen des Ungeheuerlichen. In diesem Projekt unserer erinnernden Phantasie wäre gewiß viel von den Bewegungen und Erschütterungen seines Lebensjahrhunderts festgehalten: Die malerischen und zeichnerischen Fixierungen des jeweiligen Augenblicks, die Gesichte, mit denen er das Erlebte durchdrang, die Vielfalt der Versuche und Methoden in diesem Jahrhundert, Bilder und Hinterbilder der Vorgänge zu geben. Man sähe auch in seinem langdauernden Dialog mit den Zeitgenossen. Von den Expressionisten, von Kirchner und Beckmann, Dix und Kokoschka über Schlichter, Schad, George Grosz, Picasso und Matisse bis zu den Surrealisten und Tachisten und die Arbeiten von Bernard Schultze, dem späten Frankfurter Freund. Die Bilder all ihrer Ängste, ihrer Schreie, ihrer Einsamkeiten und Sehnsüchte, ihrer Recherchen von der Auflösung des Menschenbildes und der Zerstörung einer menschenwürdig geordneten Welt spiegeln sich Heckroths Bildern, - aber auch ihre Versuche, das Gesicht, das doch zur Menschenschönheit hin entworfen ist, wieder zu entdecken.

Hein Heckroth war ein Medium dieses Strömens, dieses sich Veränderns, Verwandelns und Neuwerdens. Er sah mit den Augen des Malers, gewiß. Vielleicht war er unter den Malern ein besonderer, einer der bildhaft notiert, was ihn bewegt. Aber wohl mehr noch sah er seine Zeit mit den Augen des Bühnenbildners. Schon früh nahm Heckroth die Welt wahr mit den Augen des Theaters, das ihn anzog und das nicht den Dingen, sondern dem Fluß der Dinge ausgeliefert ist, der Unbeständigkeit, der schnellen Vergänglichkeit, also dem dauernden Wechsel, der das Leben ist und eine Fülle vortäuscht, die doch nur die Masse von Wandlungen ist.

Er gehörte also zu jenen gespaltenen, oder sagen wir gedoppelten künstlerischen Wesen, die sich selbst bilden und begreifen in Entwürfen für andere, die d e r e n Leben Raum, Ausdruck und Hintergrund geben; die sich auch den Aufgaben stellen, die neue Künste wie zu seinen Lebzeiten Film und Fernsehen forderten. Er hat ihnen reichlich gegeben und immer war die Verwandlung des Malers in Skizzen, in Entwürfen, in räumliche und körperliche Bewegung das Agens seiner Visionen.

Seine Triumphe in dieser Kunst reichten von dem Grünen Tisch des Kurt Joos über Powells Film Die roten Schuhe (in dessen Oscar-Ruhm Heckroth nach Deutschland zurückkehrte) und Hoffmanns Erzählungen bis zu Staudtes Dreigroschenoper, in der er endlich seinen Brecht erreichte, und in seine Zeit an der Frankfurter Bühne, die nochmals ein Neubeginn war am Ort seiner Anfänge. Es wurden fünfzehn Jahre kontinuierlicher, prägender Theaterarbeit, die direkte Konfrontation und Kontrast zu der härteren, gestörteren Bühnenwelt des Teo Otto, die ihre politische Prägung nie verleugnete. Caspar Neher, Teo Otto und dazu Hein Heckroth: welch eine Spannung in dem Jahrzehnt, in dem wir wieder eine neue Bühnenkunst entwickeln mussten, zwischen 1950 und 1968.

Wer die große Zahl von Hein Heckroths Bühnenentwürfen sieht, nimmt immer den Maler wahr, - aber einen, der nicht das statische, fixierende Bild sucht, sondern fast schon filmisch eine Szene nach der andern setzt, als wär's ein Lebenstanz. Der auf Caspar Nehers Spuren einerseits von Bildsignalen spricht, andererseits sich beschäftigt mit Metamorphosen, in denen surrealistisch sich Dinge in andere verwandeln, beleben und entschwinden. Heckroth führte uns nach den grauen Jahren des Nachkriegs die assoziative und die symbolische Kraft, nein, die freie Macht der Farbe vor Augen. Die Entzündung nicht nur der Phantasie, sondern aller Gefühle durch Farbmacht, die sich im Bühnenraum noch verstärkt und später im Farbfilm zum Akteur, zum Mitspieler wurde, den Heckroth fast avantgardistich mit entwickelte.

Es ist die Hinterlassenschaft eines ruhelosen Künstlers, der in der Komposition des Bühnengeschehens aus Farbe, Licht, Musik, Tanz, dramatischer Energie einen Traum zu erfüllen suchte: den der bewegten Malerei. In Ballett, Oper und Film fand Hein Heckroth seine Erfüllungen.

Es gibt in solchen Lebensläufen oft Konflikte, die w i r Zuschauer ihrer Arbeit nicht kennen. Es ist dann die Frage, ob sich ein drängendes malerisches Talent in der Bühne verzehrt, oder ob es nicht doch von der Bühne zurückflieht ins dauerhaftere Werk der Malerei wie einst Max Slevogt oder Lovis Corinth. Oder ob es sich bewusst hingibt an das räumliche, symbolische oder magisch-realistische Gestalten eines Spielraums, um endlich dieser Kunst die noch immer verleugnete eigene Geltung zu verschaffen. Heckroth hat sich der Flucht verweigert und in der Suche nach Symbiosen allem Neuen zugeordnet, um so selbst immer ein Neuer zu werden.

Er sucht nicht nur im B i l d die Metamorphosen, er übte sie in sich. Er nahm seinen Begriff von Malerei mit ins Theater und transformierte ihn in jene filmisch-elektronischen Medien, die vom Theater mit hervorgebracht worden sind.

Es ist eine stattliche Lebensarbeit, leuchtend und doch auch wohl noch durchschattet von dem selbst erfahrenden Kummer, dass man den Maler in ihm weniger schätzte als den Bühnenträumer, den Bühnenspieler, den Betreiber der Bühnenkunst. Das aber teilt er mit manchem, der sich in die zehrende Welt des Theaters verlor und dort schöpferisch wurde, ohne darüber den Ursprung seines Tuns zu vergessen. Von Achim Freyer, aber auch Einar Schleef wissen wir, dass sie den Maler in sich höher schätzten als die, die ihre Bühnenarbeit bewunderten. Vielleicht steckt in jenem Verlangen des Bühnenbildners, vor allem als Maler anerkannt zu werden, auch nur die Sehnsucht nach dem Bleibenden, Überlieferbaren und nach dem Bannen des Augenblicks unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit. Vielleicht wird Erich Wonder ja nachher die Schleusen seiner eigenen Seele öffnen.
Hein Heckroth scheute weder Offenheit noch Experiment. Sein Leben ging zu Ende, als auf dem Theater um 1968 die Führung in den szenischen Künsten wechselte, als die Schauspielbühnen, denen er sich nie, bis zuletzt n i c h t verweigerte, leer geräumt, als Themen vor die Bilder, das politische Engagement vor Phantasie, Traum und Magie der Kunst gestellt wurden. Er nahm auch diesen Wandel wahr mit teilnehmender Aufmerksamkeit. Seine letzten Bühnenentwürfe galten dieser Bewegung. Zu Michael Powell sagte er damals: Ich verstehe, was die Jungen betreiben. Wir sollten Geld machen, es ihnen geben für Gewehre, damit sie uns alle erschießen. Die Jungen von 1919, zu denen Hein Heckroth gehörte, dachten ja nicht anders über ihre Vorgänger. Auch sie schossen mit Metaphern.
Vieles, was damals weggeräumt wurde, kehrt nun langsam wieder über die Erinnerung in unser Bewusstsein und in eine künftige Wirklichkeit zurück, - gewandelt durch das Geschehene. Die Bilder leben nicht ohne das mitgehende Verlangen ihrer Betrachter, auch die Zeit für die Erinnerung an Hein Heckroth kehrt damit zurück....,

Ich nenne es eine glückhafte Entscheidung, dass mit der Stiftung eines Preises in Hein Heckroths Namen der Kunst des Bühnenbildners, die eine so lange Tradition hat, endlich ein rühmendes Forum geschaffen ist. Und: dass der erste Preisträger selbst durch sein bildnerisches Bühnen-Werk den Maßstab für die künftigen setzt und durch sich selbst auch Erinnerung stiftet... Denn: Erinnerung hilft überleben, nimmt das Gewesene mit in unsere Zukunft und ist auch eine Form der Dankbarkeit, daß einer da war, der unsere Gedanken bewegt.