Träger des Hauptpreises 2015:
Bert Neumann †

Träger des Förderpreises 2015:
Andy Seno Aji




GRUSSWORT

DIETGARD WOSIMSKY
VORSITZENDE DER HEIN-HECKROTH-GESELLSCHAFT

Vielen herzlichen Dank, Sophie Rois, Roman Ott und Attila Mühl für diesen stimmungsvollen musikalischen Auftakt!  

Wir freuen uns sehr, dass Sie diese Ehrung heute für Bert Neumann mit gestalten und bereichern, obwohl Sie, liebe Frau Rois, gestern Abend noch bis halb zwölf in Dostojewskijs „Spieler“ in Berlin auf der Bühne standen. Einer Bühne, die, ebenso wie die Kostüme, von Bert Neumann, entworfen wurde.

Ich erinnere mich an unser erstes Telefonat, in dem Sie mir erzählten, dass es Ihnen ein Anliegen sei, dabei zu sein, da Sie ja auf der Bühne schließlich in Neumanns Räumen wohnten. 

Lieber Bert Neumann, heute „wohnen“ Sie für zwei Stunden in unserem Stadttheater und wir freuen uns sehr, dass Sie, Ihre Frau, Lenore Blievernicht, und Ihr Sohn Leonard es möglich machen konnten, aus Zürich bzw. Berlin anzureisen.

Sehr geehrter Herr Ministerialdirigent Schmitteckert,

sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Grabe-Bolz,

liebe Preisträger,

meine sehr verehrten Damen und Herren! 

Ich begrüße Sie, - auch im Namen meines Vorstandkollegen, Herrn Dr. Breitbach, - zum Festakt der nunmehr 7. Verleihung der Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises in Gießen und heiße Sie alle herzlich willkommen. 

Als wir vor 14 Jahren einen Preis für Bühnenbild ins Leben gerufen haben, wollten wir damit nicht nur an den Namensgeber erinnern, der ein großer künstlerischer Vorreiter in seinem Metier war, sondern-  auch damit die Scheinwerfer auf eine Disziplin richten, die im Spannungsfeld zwischen bildender und darstellender Kunst längst selbst zu einer eigenen Kunstform geworden ist.

Herausragende Vertreter sowie Nachwuchstalente dieser Disziplin sollten, und sollen hoffentlich auch weiterhin, mit dem Hein-Heckroth Bühnenbildpreis gewürdigt bzw. gefördert werden.

Unser erster Preisträger war der Bühnenbildner Erich Wonder aus Wien. 

Und-  er hat das, was ein Bühnenbild und das Selbstverständnis eines Bühnenbildners ausmacht, einmal wie folgt charakterisiert:

„ich finde, dass das Bühnenbild eine eigene Kunstform sein kann, die auch Inhalte ausdrückt. Es ist keineswegs nur als geschmackvoller Zuträger, also als Dekoration oder Gestaltung des Umraumes gemäß den konventionellen Vorstellungen des Theaters zu verstehen.

Die moderne Sicht dieses Berufes entspricht eher der eines Bilddramaturgen. Er behauptet einen Gesamtkomplex, der über Bilder läuft, aber nur funktioniert, wenn er sich mit Inhalten, mit Dramaturgie, beschäftigt.

In diesem Sinne ist er ein übergreifender; er hat den Anspruch, auf die Umwelt zu reagieren, sich den Medienreizen auszusetzen und sich mit ihnen zu konfrontieren.“                                                                                                                                     Zitat Ende.

Heute nun ehren wir gerne, auf Vorschlag von Anna Viebrock, einen Mann, der genau in diesem Sinne denkt und arbeitet - den Künstler, Bühnen- und Kostümbildner Bert Neumann.

Im Jahr 2003, als wir erstmals den Bühnenbildpreis vergeben konnten, erhielt er übrigens den Berliner Theaterpreis. Und auch sonst wurde sein Schaffen schon mit verschiedensten Auszeichnungen bedacht: Die Stadt Wien überreichte ihm die Josef-Kainz-Medaille, die Berliner Zeitung würdigte ihn mit dem Kritikerpreis, die Zeitschrift „Theater der Zeit“ kürte ihn viermal zum „Bühnen- und Kostümbildner des Jahres“

Seit 2009 ist Bert Neumann Mitglied der Akademie der Künste, so wie auch unsere früheren Preisträger Karl-Ernst Herrmann, Achim Freyer, Robert Wilson und Anna Viebrock.

Bert Neumann studierte Bühnen- und Kostümbild an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Seit 1988 arbeitet er mit Frank Castorf an der Volksbühne Berlin zusammen, seit 1992 ist er dort Ausstattungsleiter und trägt seit dieser Zeit entscheidend zum Erfolg der Berliner Volksbühne bei, ja, wie Anna Viebrock uns schrieb, Frank Castorfs Theater sei undenkbar ohne Bert Neumann.

Leider wird dies jedoch, wie man aus den vielen, in den letzten Tagen veröffentlichten Meldungen erfahren kann, von den Medien nicht kommuniziert.

Wie sehr, in diesem Zusammenhang, die umstrittene Entscheidung des Berliner Regierenden Bürgermeisters und Kultursenators von vor drei Tagen die Berliner Theaterlandschaft verändern wird, bleibt abzuwarten.

Bert Neumann arbeitete u.a. auch mit Regisseuren wie Thomas Langhoff, Leander Haußmann, Peter Konwitschny, Christoph Schlingensief zusammen, - seit 2000 kontinuierlich mit dem Autor und Regisseur René Pollesch , und seit 2003 auch mit Johan Simons. Ich möchte den beiden Laudatoren nicht vorgreifen und es würde hier heute den Rahmen sprengen das immense Werkverzeichnis von Bert Neumann aufzuzählen.

Aber, - auch von dieser Preisverleihung wird es einen Dokumentationsband geben mit einem ausführlichen Werkverzeichnis, - nicht nur von Heckroth, - sondern auch von Bert Neumann.

Nicht unerwähnt bleiben sollte aber, dass es allein in der vergangenen Spielzeit für Bert Neumann zehn Premieren gab und in dieser Spielzeit war bzw. ist er u.a. bei fünf Uraufführungen für das Bühnenbild - und bei den meisten auch für die Kostüme -  verantwortlich.

Wirklich ein immenses Programm! 

Wie Sie wissen, bitten wir jeden Haupt-Preisträger des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises, uns ein junges Nachwuchstalent für den mit 2.500 Euro dotierten Förderpreis zu benennen.

Für Bert Neumann spielte die Überlegung, für wen dieses Preisgeld etwas Veränderndes bewirken könnte, eine zentrale Rolle und so zeichnen wir heute den jungen indonesischen Künstler und Bühnenbildner Andy Seno Aji aus und begrüßen ihn sehr herzlich.

Dafür, dass er tatsächlich vor zwei Tagen aus Java nach Berlin fliegen konnte, danken wir dem Goethe-Institut Jakarta, insbesondere Herrn Dr. Bloemke für die Großzügigkeit, die Flugkosten zu übernehmen sowie Frau Lenore Blievernicht, die als persönliche Bürgin dafür sorgte, dass Andy Seno überhaupt ein Visum bekam.

Es ist zu einer schönen Tradition geworden, Ihnen bei jeder unserer Verleihungen einen künstlerischen Bereich im Wirken von Hein Heckroth etwas näher vorzustellen.

Nach Theater, Ballett, Malerei, Film werden Sie heute etwas über Heckroths Fernseharbeit hören.

Sehr geehrter Professor Marx, wir freuen uns sehr, dass Sie sich spontan bereit erklärt haben heute hier zu sprechen. Vielen Dank!

Allein sechs Fernsehproduktionen hat Heckroth zusammen mit dem Regisseur Wilhelm Semmelroth im Westdeutschen Rundfunk realisiert. Ich weiß, dass die Witwe von Wilhelm Semmelroth, die Schauspielern Jutta Kammann heute hier ebenfalls anwesend ist.

Bekannt ist sie unter anderem durch ihre Rolle als Oberschwester in der Fernseh-Serie: „In aller Freundschaft“. Herzlich willkommen in Gießen, Frau Kammann.

Ein von Heckroth gemaltes, zwei Meter langes Bild zu Strindbergs „Traumspiel“ aus dem Nachlass von Semmelroth hat inzwischen den Weg von München nach Gießen gefunden.

Für zwei Stunden steht es heute im Foyer. Wir danken dem engagierten Kunstsammler und „Heckroth-Fan“ Herrn Werner Faber, für diese Leihgabe.

Zu danken habe ich aber auch noch vielen weiteren Institutionen und Personen für das Zustandekommen dieser 7. Preisverleihung und des heutigen Festaktes:

Allen voran dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst für die Bereitstellung des Preisgeldes und die wohlwollende Unterstützung durch Ministerial-Rat Albert Zetzsche, unserer Oberbürgermeisterin, Dietlind Grabe-Bolz und den Mitgliedern der Gießener Stadtverordnetenversammlung, für den Förderpreis. Und ich begrüße an dieser Stelle auch Herrn Stadtverordnetenvorsteher Egon Fritz. Wir danken der Intendantin dieses Hauses, Cathérine Miville mit ihrer stets hilfsbereiten Assistentin Kristin Schulze, sowie all denen, die hinter den Kulissen, - heute, - am Morgen nach einer gestrigen Schauspielpremiere, zum Gelingen beitragen. Auch Petra Soltau stand gestern Abend noch „In der Republik des Glücks“ hier auf der Bühne. Ganz herzlichen Dank, liebe Frau Soltau, dass Sie sich trotzdem bereit erklärt haben, diesen Festakt zu moderieren. 

Ich glaube, es ist kein Geheimnis und Sie erkennen es auch an den Logos auf der Einladungskarte und dem Programmheft, eine Veranstaltung, wie diese wäre nicht zu realisieren, ohne die finanzielle Unterstützung von der Gemeinnützigen Stiftung der Sparkasse Gießen, der Sparkassen Kulturstiftung Hessen-Thüringen und der Volksbank Mittelhessen.

Herr Direktor Wolf und Herr Direktor Bernhardt haben Sie besten Dank und seien Sie uns hier herzlich willkommen.

Begrüßen möchte ich ebenfalls die Landtagsabgeordneten Gerhard Merz und Hartmut Holzapfel, den Vizepräsidenten der Technischen Hochschule Mittelhessen, Prof. Frank Runkel sowie den Direktor der Angewandten Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität, Prof. Gerold Siegmund.

Extra aus Stuttgart sind angereist der Intendant der dortigen Staatsoper, Jossi Wieler und der Dramaturg Sergio Morabito sowie aus Berlin die Theaterwissenschaftlerin, Prof. Birgit Wiens.

Der Presse danke ich für ihr Kommen und für die umfangreiche Berichterstattung im Vorfeld.

Ein besonderer Willkommensgruß aber gilt dem Enkel von Hein Heckroth, Jodi Routh, der es sich nicht hat nehmen lassen, wie bei den früheren Verleihungen des nach seinem Großvater benannten Preises, auch heute wieder hier anwesend zu sein.

Mit unseren Preisträgern, Ehrengästen, Mitwirkenden, Mitgliedern der Hein-Heckroth-Gesellschaft und natürlich mit all Ihnen, liebe Damen und Herren, freue ich mich jetzt auf einen anregenden und interessanten Sonntagvormittag und bitte nun die Hausherrin, Frau Cathérine Miville zum Mikrophon.

Vielen Dank!


Grußwort

Cathérine Miville
Intendantin des Stadttheaters Gießen

Einen wunderschönen guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch von Seiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadttheaters und von mir ein herzliches Willkommen zur heutigen Preisverleihung.
 
Es ist sehr schön, dass unser Haus zum nunmehr schon siebten Mal den feierlichen Rahmen für diesen besonderen Anlass bieten kann und ich freue mich, dass erneut so viele Interessierte den Weg hier her gefunden haben.

Der Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis ist als Auszeichnung, die ausschließlich an BühnenbildnerInnen verliehen wird, eine Rarität; auch wenn AusstatterInnen selbstverständlich immer wieder mit Preisen bedacht werden. Ich erinnere mich, dass ich mich 2003 anlässlich der ersten Verleihung hier an dieser Stelle darüber freute, dass Bert Neumann damals kurz zuvor mit dem sehr renommierten „Theaterpreis Berlin“ ausgezeichnet wurde. 

Lieber Bert Neumann, es ist mir eine wirkliche Freude und Ehre, Sie nun heute in unserem Stadttheater als Gast und Preisträger willkommen heißen zu dürfen.

Sie und das Team der Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz erleben ja gerade eine sehr turbulente Phase. Die seit etlicher Zeit in Fachkreisen intensiv geführte Theater-Strukturdebatte hat sich im Vorfeld der Neubesetzung der Intendanz der Berliner Volksbühne zu einer Grundsatzdiskussion einer breiten Öffentlichkeit entwickelt. Dieser kulturpolitische Schlagabtausch wird in sämtlichen Medien mit sehr hoher Emotionalität und deutlich persönlichem Einsatz geführt. Und wenn sich insgesamt nicht unbedingt der Eindruck aufdrängt, dass durchwegs Sachverstand und Objektivität die Debatte prägen, so zeigen dieses heftige Engagement und dessen große mediale Wahrnehmung zumindest, dass Theater und Kultur durchaus noch einen sehr zentralen Stellenwert einnehmen können, in der öffentlich Wertedebatte. Dominiert wird dieser Austausch von und durch große Theaternamen. Das ist verständlich und sicher ein Stückweit auch richtig. 

Nicht vergessen werden darf jedoch, dass hinter all diesen großen Theaternamen stets Teams stehen; Teams von kreativen Könnern und besonderen Spezialisten, ohne die kein Theater und keine performative Kunst möglich wären. 

Und so erlaube ich mir, und Sie lieber Bert Neumann werden es mir verzeihen, heute nicht Ihre Verdienste um die Kunst zu lobpreisen – diese wunderbare Aufgabe werden gleich wesentlich Berufenere übernehmen. 
Ich möchte zur heutigen Preisverleihung den Teams der Theater-Werkstätten, der Bühnentechnik, der Licht-, Video- und Tonabteilungen ein Kränzchen winden. Da zaubern hoch innovative, technisch-künstlerisch versierte Menschen unermüdlich für täglich neue und unerwartete Anforderungen, kreative Lösungen, ohne die kein Bühnenraum realisiert werden könnte. Sie sind untereinander und auch mit den unterschiedlichsten Kunst- und Medien-Szenen vernetzt. Und dieser Austausch bildet den Humus dafür, dass Theater und Theaterräume sich in einem steten künstlerischen Prozess permanent neu erfinden können. Diese Teams kriegen keine Preise, doch sie geben ihr Know-how auch an junge Theaterschaffende weiter, sie bilden aus und dadurch, dass sie sich dieser enorm wichtigen Aufgabe in unterschiedlichsten Zusammenhängen intensiv annehmen, sorgen sie für den Theaternachwuchs, der die Zukunft des Theaters tragen wird. 

Ich erachte es daher als zentral wichtiges Signal, dass heute neben der Hauptauszeichnung auch wieder ein Nachwuchspreis vergeben wird. Junge BühnenbildnerInnen haben es nicht leicht, im freien Markt Fuss zu fassen. Umso mehr kommt der Nachwuchsförderung eine besondere Bedeutung zu. Wie schön, dass der Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis hier nachhaltig ein starkes, positives Zeichen setzt.

Liebe Frau Wosimsky, Ihnen ein herzliches Dankeschön für Ihr enormes Engagement, das dies erst möglich macht. Ich wünsche Ihnen und der Hein-Heckroth-Gesellschaft eine erfolgreiche Veranstaltung,  dem Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis eine noch lange, glanzvolle Zukunft und uns allen eine anregende Feierstunde.


  Vortrag über Hein Heckroth (1901–1970)
„TRAUMSPIEL – GRENZGANG ZWISCHEN THEATER, FILM UND FERNSEHEN“

Prof. Dr. Peter W. Marx
Institut für Medienkultur und Theater und Direktor der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln

Sehr geehrte Frau Wosimsky,
lieber Herr Neumann,
sehr geehrte Festgesellschaft!

Ich habe mir für einen kurzen Parforce, auf den ich Sie mitnehmen möchte, eine Fernsehproduktion ausgesucht, die gleichermaßen untypisch und vielleicht doch für das typisch ist, was unter Bühnenbild - oder besser gesagt: Gesamtausstattung - verstanden wird.

Es ist Strindbergs Traumspiel in einer Produktion von 1959 - eine Produktion, die in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist und die ich Ihnen im Folgenden vorstellen möchte.

Strindbergs Traumspiel gehört zu jener Kategorie von Theatertexten, die gleichermaßen kanonisch wie selten aufgeführt sind. Sie fordern das Theater in einem nachgerade extremen Sinne heraus – provozieren es in seinen Konventionen und Mitteln und mithin gewinnt man den Eindruck, dass im Scheitern, das jede Künstlerin/jeder Künstler in dieser Auseinandersetzung als a priori akzeptieren muss, die eigentliche Bedeutung liegt.

Im Falle von Traumspiel liegt dies natürlich zunächst einmal am Strindberg’schen Text und Sujet selbst: Strindberg kreiert mit der Figur der Göttertochter Indra, die aus Mitleid sich auf die Reise zur Welt begibt, eine Außenperspektive, die nicht an Raum und Zeit gebunden ist – Indra wird zu einer Art Periskop, mit der Strindberg und sein Publikum auf eine tiefere Schicht des Menschseins blicken kann, so zumindest seine Vorstellung. Strindbergs Szenenanweisungen sowie die dramaturgische Gestalt seines Textes aber haben di Zeitgenossen überfordert, 190 fand die Uraufführung statt, aber erst 1916 die deutschsprachige Erstaufführung in Berlin in der Regie von Rudolf Bernauer. Zentral für diese Inszenierung aber war die Möglichkeit, einen unwirklichen Raum zu konstruieren, dessen Optik allein schon die Gesetze der Natürlichkeit aufhob. Sven Gade der sich später bemerkenswerterweise selbst dem Film zuwandte, schuf eine akzentuiert zwei-­dimensionalen Raum, dessen Ansicht noch durch einen über die Bühne gespannten Gaze-­Vorhang programmatisch ins Unscharf eingetrübt wurde. Bewußt also verweigerte sich diese EA dem Primat einer realistischen Optik, zieht sich auf scheinbar ‚naive’ Techniken der Malerei zurück, um sich einen neuen Spielraum zu schaffen – einen Spielraum, in dem die Regeln der ‚Wirklichkeit’ systemtisch aufgehoben werden.
In diesem Sinne fasst Alfred Klaar in seiner Kritik für die Vossische Zeitung seine Eindrücke zusammen:

“Die Bilder verschoben sich, durchdrangen einander, die Gestalten alterten und verjüngten sich, schwebten wohl auch durch die Wände hindurch – alles nach dem Eigenwillen der entfesselten Traumphantasie, […]”

Es ist die Formel des „Eigenwillens einer entfesselten Traumphantasie“, die nicht nur das Echo auf Freuds die allzu gewissen Selbstsicherheiten der westlichen Kultur erschütternde Traumdeutung (1900) in sich trägt, sonder vor allem den Unschärfen und Diskontinuitäten der Darstellung eine nachgerade beruhigende eine Klammer verleiht. Das Unverständliche der Darstellung wird aufgehoben im Begriff des Traumes (im Deutschen schwingt hier immer auch das Wortspiel von Traum und Alptraum mit) – die Provokation gewissermaßen begrifflich gebändigt. Indras wiederholte Formel „Es ist schade um die Menschen“ wird zu einer existenzielle Chiffre, die über das Unmittelbare eine reine Gegenwartskritik hinausweist. Strindberg provoziert in diesem Stück nicht allein über den Inhalt, sondern vor allem auch über die Form, die die Grenzen der Wahrnehmung bricht, so dass nur der Vergleich zum Traum, zum „entfesselten Traum“ nicht ordnend/sinnstiftend, aber doch wenigstens rahmend wirken kann.
Machen wir eine zeitlichen Sprung in das Jahr 1959. Der WDR beschließt, ebendieses Stück von Strindberg als Fernsehfilm zu produzieren und verpflichtet hierfür den Regisseur Wilhelm Semmelroth und Hein Heckroth für die Ausstattung. Schon die Konstellation lässt erkennen, dass hier die übliche Arbeitsteilung zwischen Regie und Ausstattung überhaupt nicht aufrecht zu erhalten war: Heckroths Entwürfe und Vorschläge sind kein dekorativer Hintergrund, der die interpretierende Fantasie eines Regisseurs bebildert, sondern sie liefern eine Welt-Entwurf, der deutend auf Sprache und Handlung vorausweist.
Heckroth hat das Malerische/das Graphische als eine eigenständige Bedeutungs-­oder Kommentarebene selbstbewusst neben die Handlung gestellt, so gab es neben der eigentlichen Ausstattung eine Reihe von als Kommentar fungierenden Bildern. In seinem Skizzenbuch, das die Ordnung des Films schon in Notatform vorwegnimmt, finden sich hierzu folgende Beschreibungen: Mit den Stichworten von „flüchtende Menschen“, „Zerbombte Stadt“, „Soldatenfriedhof“ und „GOLGATA“ ruft Heckroth nicht nur die Bilder des Strindberg’schen Dramas auf, sondern ergänzt sie um visuelle Verweise, die ein Publikum aus dem Jahr 1959 auf die jüngste, traumatische Vergangenheit und Gegenwart zurückverweisen mußte. Die Evokation der endlosen Soldatenfriedhöfe, der zerschundenen Körper der Befreiten aus den Konzentrationslagern sowie schließlich der Atompilz als Chiffre für eine die Menschheitsgeschichte ultimativ beendenden, schuldhaften Katastrophe ließen dem Fernsehpublikum von allem Anbeginn deutlich werden, dass es hier nicht um eine symbolisch-abstrakte Ausdeutung des Strindberg’schen Textes ging – solcherlei ästhetische Gefühligkeit war ja im Kontexte der 1950er hinreichend häufig präsentiert worden –, sondern um eine bewusste, ja mithin radikal zu nennende Form der Zeitzeugenschaft, die sich Strindbergs poetische Konstruktion und Diagnose „Es ist schade um die Menschen“ in die Zerissenheiten des Jahrs 1959 übersetzt.
Wie sehr die Bilder aber in den Verlauf der Inszenierung/des Films eingreifen, wird besonders erkennbar an einer Szene, die mit dem Titel „Strand der Schande“ überschrieben ist. Ich möchte Ihnen einen kleinen Ausschnitt präsentieren: VIDEO (1’30“).
Heckroth übersetzt di abstrakte Szen Strindbergs i ein Mischung aus Spielszenen und gezeichneten Figuren/Objekten. Die Bildlichkeit seiner Darstellungen aber geh – dies zeigen nicht zuletzt die Skizzen – in ihren Referenzen deutlich über den Strindberg’schen Text hinaus: Zermergelte Körper in zerschlagenen, verrenkten Positionen rufe sowohl di Darstellungen de Passionsgeschichte/des Gekreuzigten auf als auch die zerschundenen Körper des letzten Krieges und die Opfer der Shoah. Es ist das bewusste Neben-­ und Übereinander von Gemalten und schauspielerisch Präsentiertem, das die kleine Szene zu einer Dante-gleichen Höllenfahrt werden lässt. Heckroth/Semmelroth verweigern damit auch eine einfache Identifikation mit den auftretenden Figuren – die Menschenakteure treten in eine Konkurrenz zu den gemalten Körpern, deren Spuren des Leids in diesem Inferno mithin wahrhaftiger/realistischer wirken können als die Schauspieler es könnten.
Das Malerische tritt als Form der Überschreibung oder – wenn man der interpretierenden Logik Heckroths folgt – der Entdeckung einer tieferliegenden Wahrhaftigkeit der Bilder immer wieder in den Vordergrund. So zeigen Semmelroth/Heckroth in der Kanzlei-­‐Szene die stummen Massen als eine Fülle von Menschenkörpern, deren Gesicht aus einer Maske besteht. Diese Masken aber – wenn man dem Blick Heckroth/Semmelroths folgt – sind keine Verstellung, sondern vielmehr eine Enthüllung: Sie verdecken nicht das wahr Gesicht, sondern sie ent-­‐decken die Narben und Beschädigungen, die als Signum dieser Menschen sich darstellt.
Heckroth schafft einen Bild-­‐ und Assoziationsraum, keine Spielräume – stattdessen lässt sich ein wiederkehrendes Motiv der Ortlosigkeit feststellen. Der Film übersetzt die Bilder einer fortwährenden Katastrophe (wir werden nicht zufällig an Benjamins „Engel der Geschichte“ erinnert), nicht in einen realistischen Raum, sondern er nutzt die technischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehens, einen entgrenzten, unübersichtlichen Raum zu schaffen, der dem Zuschauer programmatisch die Orientierung verweigert. So werden die Mittel von Großaufnahme und Überblendung zu programmatischen Eingriffen in den Fluss der Bilder. Was 1916 durch den Gaze-­Vorhang nur ansatzweise und mit vergleichsweise schlichten Mitteln in Szene gesetzt werden konnte, wird hier im Medium Fernsehen zur Perfektion geführt: Die Konstruktion eines Schauraums, der unberechenbar dem assoziativen Verlauf der Handlung folgt, keine klaren Koordinaten bietet und den Zuschauer durch die Vielfalt der Stile und optischen Register ständig auf den Füßen hält.
Gleichzeitig offenbart sich hier noch eine weitere Ebene dieses bemerkenswerten Filmes: So wie die Theaterinszenierung von Traumspiel auch als ein Infragestellen der Sehgewohnheiten des Publikums und auch der ästhetischen Mittel der Bühne darstellen, so ist auch der Film von 1959 ein Moment der Aushandlung des immer noch neuen Mediums (Sendebetrieb ab 1952) und seiner Möglichkeiten. Souverän löst der Szenograph Hein Heckroth gemeinsam mit seinem Produzenten und Regisseur Wilhelm Semmelroth sich von dem Verdikt eines realistischen Bildes (wie wir es vom Film her gewohnt sind) und schafft in der Spannung zwischen theatralem Raumverständnis, Filmbild und Malerei ein Spannungsdreieck, das die Möglichkeiten und Konturen des neuen Mediums deutlich erahnbar werden lässt. Im Spannungsfeld von Traum und Alptraum, von einer realistischen Wahrnehmung und der „entfesselten Traumphantasie“ lassen sich die Möglichkeiten von Fernsehen erspüren.

Dem WDR scheint die Produktion selbst nicht ganz geheuer gewesen zu sein, denn vor der Ausstrahlung des Films erschien Wilhelm Semmelroth und ga ein ausführliche Erklärung ab:

„Wenn wir für heute Abend, meine verehrten Damen und Herren, Strindbergs Traumspiel ankündigen, so müssen wir dabei sagen, dass es nicht für jeden von Ihnen ein leichter Abend sein wird.“

Während er anschließend zunächst einmal den demokratischen Auftrag des Fernsehens rekapituliert und sich gegen ein elitäres Kunstverständnis wendet, verweist er gleichzeitig auf eine Annäherung, die in Wortwahl und Gedanken Klaar ältere Interpretation aufgreift:

“Wenn es Ihnen nachher, meine Damen un Herren, bei unserem Stück gelingt, diese traumhafte Unlogik und Vermischung der verschiedensten Erlebnisse und Gestalten anzuerkennen, dann wird das Traumspiel mit einem Male ein sehr einfaches Stück.”

Man mag – gerade im Rückblick, in dem die Fremdheit dieser Fernsehproduktion noch deutlicher in Erscheinung tritt – über das Versprechen der „Einfachheit“ lächeln auch wirkt der Versuch der Einhegung dieses Experiments aus unserer, ganz andere Provokationen gewohnten Gegenwart, etwas betulich. Doch hüte man sich vor Voreiligkeiten und frage sich lieber, ob dergleichen Experimente, in denen sich radikale Gegenwartsdiagnosen und ästhetische Lust am Ausprobieren miteinander verbinden, wohl auch heute noch in diesem Medium anfangen ließen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit


Laudatio auf Bert Neumann

René Pollesch
Dramatiker und Regisseur
Sophie Rois
Schauspielerin an der Volksbühne Berlin

Liebster Bert!

Das berühmteste Theaterlogo, das es je gegeben hat, stammt von dir. Dass wir an der Volksbühne mit Video arbeiten, liegt daran, dass du irgendwann anfingst, geschlossene Räume oder sogar ein ganzes Haus auf die Bühne zu stellen, und uns damit einen ganz konkreten Grund geliefert hast, eine Kamera in die Hand zu nehmen: Es war einfach die einzige Lösung, dem Publikum zu zeigen, was in seinem Inneren vorgeht. Diese Idee stammt also auch von dir. Und sie berührt auch das, was man vor allem sein kann, in deinen Bühnenbildern: konkret.

Ich weiß nicht, warum all die anderen Theaterleute mit Kameras arbeiten, ihre Gründe sind aber, wie ich oft feststellen muß, lange nicht so konkret wie unsere. Wenn ich das Konkrete vermisse, dann hat sich höchstwahrscheinlich der Regisseur einen Grund für die Videokameras ausgedacht, und nicht etwas so großartiges wie ein Bühnenbildner. Zum Beispiel Medienkritik. Ein sehr bekannter Politiker hat einmal eine Aufführung von „Cappuccetto Rosso“ im Prater gesehen, und sagte hinterher zu uns, dass er die Medienkritik daran sehr gut fand, also, dass wir Kameras benutzten. Auch für ihn war nicht vorstellbar, dass wir das allein deshalb taten, damit die Zuschauer überhaupt etwas sehen konnten. 

Der erste Raum, das erste Bühnenbild von dir, in dem ich arbeiten durfte, war eine vollständige Blockhütte. Wir haben sie später mit auf Reisen genommen, und zwar während der von dir erfundenen Rollenden Road-Schau. Ich hab eine Menge Zeit in dieser Blockhütte verbracht, und eben nicht nur bei Theaterproben. In Neukölln stand sie auf einer Brache, und man konnte drinnen sein T-Shirt von dir bedrucken lassen. Die Rollende Road Schau gehört ebenfalls zu deinen Erfindungen. Jetzt könnte man annehmen, ich rede hier nicht von einem Bühnenbildner, sondern von einem Erfinder. Aber darum geht es ja immer.

Die Blockhütte war teil eines Einheitsbühnenbildes von dir, das während einer Spielzeit, über sechs verschiedene Inszenierungen hindurch, langsam anwuchs. Das heißt, jeweils zur nächsten Premiere kam ein neues Segment hinzu. Vollständig war das ganze eine Westernlandschaft, die eigentlich in einem Hollywoodstudio stand. Das dritte Segment war die Blockhütte. Deine Erfindung ist jetzt, und die machen eben die großen Künstler, dass, jenseits der ästhetischen Entscheidungen, dieses Bühnenbild oder dieser Raum, sich um Autonomie sorgt. Und zwar nicht um die bürgerliche Autonomie eines Extra-Genies, sondern um die Autonomie und Souveränität eines Berufsstandes, wie dem des Bühnenbildners. Also nicht der Bühnenbildner baut einem Regisseur ein Bühnenbild, sondern umgekehrt. Man lädt auch nicht vier Regisseure ein, den Ring des Nibelungen zu inszenieren, sondern sechs Regisseure, um ein Bühnenbild zu bespielen. Die Erfindung ist also, du bist der erste Autor. Darum muß man sich kümmern, weil ja normalerweise etwas anderes herrscht, nämlich: der erste Autor ist der Autor. Das bedeutet im Normalfall, Schauspieler dürfen dessen Text ablatschen, und der Bühnenbildner darf sich von den ausführlichen Beschreibungen des Bühnenbildes inspirieren lassen, oder von einem Regisseur, der das diesmal ganz anders machen will.

Wenn es einen Künstler gibt, den ich uneingeschränkt verehre, dann bist du es. Jeder Raum, den du gebaut hast erzählt diese Autonomie, lieber Bert. Und lässt einen an der eigenen Autonomie bauen. 

Und es geht dabei nicht um einen unbändigen Gestaltungsdrang, sondern um die Etablierung der eigenen Praxis, um das Um-gehen einer herrschenden und hierarchisierenden Praxis. Deshalb und nur deshalb macht man ein Theater, man macht es völlig neu. Nicht aus Orginalitätsgründen, sondern um die Parameter so zu verändern, dass man arbeiten kann. Deshalb kann man sagen, dass man es gemacht hat, also im vollsten Sinne: man hat die Volksbühne gemacht. Nicht weil man einfach da drin rumwerkelt, sondern weil alle dort die Parameter verändert haben. 

Die Blockhütte war wunderschön. Und zwar nicht weil sie ein schöner Einfall war, oder weil ein Regisseur etwas wunderschönes daraus machte. Sondern sie war, überall wo du sie aufstelltest, schön. Nicht weil sie eine wunderschöne Bedeutung bekam durch einen Text, nein, sie war robust, sie roch gut, sie betörte alle Sinne, und zwar ganz konkret. Sie war von den Gewerken der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gebaut worden, einem der letzten Häuser, die diese Arbeiten, aufgrund deiner Initiative und der von Frank Castorf, nicht outgesourct hat. Ich würde sogar sagen, die Blockhütte hat mich zum Materialisten gemacht. Sie konnte durch keine Bedeutung noch schöner werden, kein Konzept hätte ihren Zauber größer gemacht. Einzig und allein die Schauspielerinnen, die sie beziehen und für ihr Spiel benutzten. 
Es war das Material. Das war der Unterschied. Während die Theater in Samt und Seide dahin mufften, oder sich Theater-Kritiker hässlichen Tapeten hingaben, weil die zu dem trashigen Millieu transzendierten, das die Regie im Sinn hatte, standen in deinen Räumen nie Dinge herum, die man nicht gerne anfasst. Jetzt könnte man sagen, aber das Publikum kriegt doch nichts davon mit, aber wir Materialisten kennen wenigstens e i n e garantierte Wirkung des Spiels, nämlich die, die es auf die Körper der Spieler hat.

Der erste Autor eines Theaterabends ist der Bühnenbildner. 1998 erzählte mir eine junge Regisseurin, dass ihr Bühnenbild, anlässlich eines Praterspektakels an der Volksbühne, von dir wäre. Ich hatte dich noch nicht kennengelernt, ich war auch kein regelmäßiger Besucher der Volksbühne, aber als sie den Namen Bert Neumann sagte, entlockte mir das ein „Wow! Was für ein Glück du hast!“ Und ich dachte natürlich: „Wie hat sie das bloß geschafft?“. Dein Name, Bert Neumann, war so groß in meinem Kopf und das war er, weil jeder über dich sprach. Du hast Regisseuren, die neu in der Volksbühne landeten, nicht mal schnell einen Entwurf geschenkt, sondern du wusstest, man muß jeden von ihnen stärken, und sie nicht verhungern lassen. Und das hast du gemacht, mit deiner Kunst und deinen Argumenten. Von mir bis hin zu Vegard Vinge und Ida Müller. Das hatte eben diese Rede über dich generiert, die mich erreichte, bevor ich dich überhaupt kennengelernt hatte, und die mich dieses „Was für ein Glück du hast!“ sagen ließ.

Ich erinnere mich daran, dass wir beide einmal von einem New Yorker Theater gefragt wurden, dort gemeinsam zu arbeiten. Und dass uns da sehr schnell klar wurde, die kennen in New York gar keine Bühnenbilder, in London übrigens auch nicht, die bilden sich da eher sehr viel ein auf den sogenannten „leeren Raum“. In Anlehnung an Shakespeares globe-Theater, ist deren Vorstellung von einem Bühnenbild eben nicht das Material, sondern das Licht, und grobe Stoffe, die an Holzgestelle getackert sind, wenn überhaupt. Vielleicht auch nur ein Fensterrahmen der an Schnüren in der Luft hängt. Alles andere wird als Tand aufgefasst, und deshalb kommt es nur zu Plunder. In New York gibt es nur Theater, das an die Imagination appelliert. Ich weiß dann immer nie, was das sein soll. Ich denke dann nur, „Da sei der Bühnenbildner vor!“, der gegen diese unsichtbare Ordnung im „leeren Raum“ angeht. Der „leere Raum“, der so tut, als könnte man sich in ihm immer alles vorstellen, aber der dann doch leichter zu verstehen ist, wenn sich jeder das gleiche vorstellt.

Ein leerer Raum braucht keinen Bühnenbildner, sondern die Vorstellungskraft. Allein aus diesem, und nicht nur aus Gründen dieser Preisverleihung bin ich gegen die Vorstellungskraft. 

In New York kommt man bei der ganzen Bevorzugung der Imagination sofort auf ökonomische Gründe. Also auf das, was der Kapitalismus bei Max Weber ist: die rationale Zügelung der Geldgier. Und da sind wir damals gegangen, und haben nichts in New York gemacht. Diese Produktion aus Nichts, die das Ökonomische ins Künstlerische überführt, war uns nicht avanciert genug. Wo nichts mehr ist, da ist der Konsens, der sich als Vorstellungskraft tarnt. Das zeigt auch ganz gut, wie hohl Begriffe werden können, wenn sie als Tarnnamen gebraucht werden. Begriffe wie Kollektiv, Teamwork und Vorstellungskraft. Damit sie nicht hohl wird, sollten wir die Vorstellungskraft dem Bühnenbildner überlassen. 

Herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis, liebster Bert. Sehr liebe Grüße an deine Frau Lenore Blievernicht, an Leo, deinen Sohn. Vielen Dank, liebste Sophie. Die beiden Menschen, von denen ich am Theater am meisten gelernt habe, sind heute hier im Raum. 

Preisverleihung an Bert Neumann

Ministerialdirigent Günter Schmitteckert
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst

Sehr geehrte Damen und Herren Landtagsabgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete,
sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
liebe Frau Wosimsky,
liebe Frau Miville,
sehr geehrter Herr Neumann,
sehr geehrter Herr Aji,
guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren,

nach dieser rundum überzeugenden, und von einer so prominenten wie berufenen und charmanten Künstlerin dargebrachten Laudatio bleibt mir vor allem eins, nämlich die herzlichsten Grüße und Glückwünsche des Preisstifters, des Hessischen Ministers für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, an Sie alle zu übermitteln. 

Die Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises hat längst einen besonders hohen Stellenwert unter den kulturpolitisch wichtigen Terminen in Hessen erlangt. Deshalb bedauert Herr Minister Rhein auch besonders, heute nicht anwesend sein zu können. Mich freut es umso mehr, heute bereits zum dritten Male hier sein und zum zweiten Male auf der Bühne stehen zu dürfen. Am 10. April 2011 durfte ich an dieser Stelle Christoph Schlingensief postum mit dem Preis ehren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir verdanken wir es weder einem Zufall noch einer Selbstverständlichkeit, dass heute zum bereits siebenten Male der Preis verliehen werden kann. Ihre Idee, liebe Frau Wosimsky, konnte nur dank Ihrer großen Begeisterungsfähigkeit und Ihres  unermüdlichen Einsatzes in glücklichster Weise umgesetzt werden. So können wir heute dankbar feststellen, dass es gerade zwei hessische Städte abseits der Metropolen sind, die mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring in Bensheim und dem Hein-Heckroth-Preis hier im wunderschönen Stadttheater Gießen die jeweils wichtigsten Preise ihres Genres in der deutschen Theaterlandschaft vergeben. 

Ganz sicher hat der Hein-Heckroth-Preis aber auch gerade in der vom Theater begeisterten Stadt Gießen genau die richtige Umgebung, Unterstützung und öffentliche Wahrnehmung für seine Entwicklung gefunden. Wir können getrost die hypothetische Frage offen lassen, ob dieses lebendige Andenken an das Werk Heckroths auch am langjährigen Wirkungsort des Künstlers in Frankfurt am Main eine solch erfolgreiche Pflege erfahren hätte. 
Das Stadttheater Gießen jedenfalls ist der einzig denkbare und auch würdige Ort  für diesen Preis, steht doch auch die gegenwärtige Arbeit dieses Hauses für eine große Wertschätzung der Bühnenbild-Kunst. 

Verehrte Preisträger, Herr Neumann und Herr Aji, Sie stehen heute aber im Mittelpunkt der Veranstaltung und deshalb gilt auch Ihnen mein besonderer und herzlicher Glückwunsch. Sie, Herr Neumann, erhalten es gleich schriftlich von mir, dass Sie sich längst der allerersten Reihe der Bühnenbildner im deutschsprachigen Theater zurechnen dürfen. Und Sie, Herr Aji, gehören ebenfalls nicht erst ab heute zu den hoffnungsvollen jungen Künstlern, von denen wir in Zukunft sicher noch viel Gutes hören werden. 
Ich wünsche Ihnen beiden daher alles Gute und viel Erfolg für Ihre künstlerische und persönliche Zukunft. 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit möchte ich meine Grüße beschließen und Sie, Herr Neumann, zur Verleihung zur Verleihung auf die Bühne bitten.


Laudatio auf Förderpreisträger Andy Seno Aji

Bert Neumann

Vielen Dank.

Ich muss gestehen, dass ich nichts über Hein Heckroth wusste, als ich erfahren habe, dass ich den nach ihm benannten Preis bekommen soll. Giessen, bzw Frankfurt bzw Hollywood und Berlin sind eben doch ein Stück voneinander entfernt. Hinzu kommt, dass ich in der DDR aufgewachsen bin und meine Vorbilder während des Studiums eher Karl von Appen oder Heinrich Kilger hiessen. Also Bühnenbildner aus dem Umfeld von Bertolt Brecht und dem Berliner Ensemble. Vorbilder im Sinne einer emanzipatorischen  Arbeitspraxis, die die Entwicklung des Bühnenbildes weg vom rein dekorativen hin zum eigenständigen, eingreifenden Bestandteil des Gesamtkunstwerks Theateraufführung möglich gemacht hat.
 Genau da sehe ich auch die Verbindung zum Wirken von Hein Heckroth, und aus diesem Grunde ist es mir eine besondere Freude, diesen Preis entgegenzunehmen.
 
Theater ist eine kollektive Kunstform,im selbstbestimmten Zusammenwirken von Künstlern mit verschiedenen Talenten entsteht im besten Falle etwas, was keiner von ihnen allein oder in anderer Konstellation hätte machen können.  Gerade in diesem Modell von Zusammenarbeit, in der Überwindung des immer noch resistenten Künsterbegriffs des 19. Jahrhunderts, der den Künstler als einsames Genie sehen will, liegt meiner Ansicht nach die grosse, zukunftsweisende Potenz von Theaterarbeit. 
 
Ich betone das hier so, weil das zwar Vielen von uns in der Theaterpraxis klar ist, in der Betrachtung und Beschreibung von Theater  jedoch immer wieder  eine hierarchische Struktur der Theaterarbeit als selbstverständlich angenommen wird. Und nochmal: ohne die künstlerische Autonomie jedes Einzelnen auch und gerade im kollektiven Arbeiten wird man den beglückenden Moment der Entstehung von Kunst nicht erleben.

Ich habe lange nachgedacht, wen ich für den Förderpreis heute vorschlagen soll, denn natürlich kenne ich zahlreiche begabte junge Künstler in Deutschland, bekanntlich das Land mit der höchsten Theaterdichte weltweit, die den Preis verdient hätten.

Meine Wahl fiel dann aber doch auf Andy Seno Aji, zu allererst weil ich ihn bei unserer ersten Begegnung in Yogyakarta, wo er auch heute noch lebt und arbeitet, als besonders begabten jungen Künstler kennengelernt habe, aber in zweiter Linie auch, weil ich dachte, dass das Preisgeld  dort wirksamer sein würde als hier. 

Wie gesagt, begegnet sind wir uns in Yogyakarta 2005. Damals war er Mitglied des multidisziplinären Künstlerkollektivs, dass sich als Theater Garasi 1993 gegründet hatte. Das Goethe Institut hatte mich gefragt, ob ich einen Bühnenbildworkshop in Yogyakarta machen würde, Andy war einer der Teilnehmer. Mir war klar, dass ich eigentlich nichts wusste über Theater in Indonesien und deshalb waren das keine Lektionen im klassischen Sinne, sondern wir haben in einer Fabrikhalle zusammen gearbeitet, um den Raum zu einem theatralischen Ort zu machen, der am Ende des Workshops fertig sein sollte. Im zusammen arbeiten ist mir Andy erstmals aufgefallen, weil er mich, sehr ruhig, fast zurückgezogen, mit seinen Arbeitsergebnissen beeindruckt hat. 

Im Ergebnis des Workshops, der ein tiefes und lange nachwirkendes Erlebnis für mich war, kam die Idee auf, Andy ein Stipendium in Deutschland zu ermöglichen und er war dann 2007 bis 2008 in Berlin. Seinem Blick auf die ihm fremde Stadt und Kultur hat er vor allem zeichnerisch Ausdruck verliehen, ich erinnere mich an zarte schwarz weiss Arbeiten, durchzogen von leisem Humor. 

Seine Räume fürs Theater sind geprägt von der Synthese  traditioneller und zeitgenössischer Mittel, also dem Versuch, eine eigene Sprache zu finden abseits der Orientierung an westlichen Trends oder indonesischer Folklore. Exemplarisch dafür steht seine Arbeit zu dem Stück „Wayan Lendir“ , aufgeführt am „cemeti art house“ in Yogyakarta, wo er die Form des traditionellen Schattenspiels neu interpretiert und mit anderen Medien wie Video kombiniert hat und so eine sehr eigene, phantastische Welt enstehen ließ.

Dieser Preis soll eine Ermutigung sein, den von ihm eingeschlagenen Weg weiter zu gehen
Mittlerweile hat sich Andy Seno Aji seine eigene Produktionsstruktur in Yogyakarta geschaffen, um nach eigenen Regeln arbeiten zu können. Wir haben uns sieben Jahre nicht gesehen, um so mehr freue ich mich, dass er heute hier ist und den Preis entgegennehmen kann.


Verleihung des Förderpreises an Andy Seno Aji

Dietlind Grabe-Bolz
Oberbürgermeisterin der Stadt Gießen

Sehr geehrter Herr Neumann,
Sehr geehrter Herr Aji,
Sehr geehrte Gäste, 

zur heutigen Preisverleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises und des Hein-Heckroth-Förderpreises heiße ich Sie alle im Namen der Universitätsstadt Gießen sehr herzlich willkommen. 

Zuallererst möchte ich Ihnen, sehr verehrter Herr Neumann, meinen persönlichen Glückwunsch ausdrücken und Ihnen stellvertretend für die Stadt zu dieser Auszeichnung gratulieren. 

In einer Zeit, in der das Bildliche uns immer stärker dominiert, die Gesellschaft einer permanenten Bilderflut ausgesetzt ist, die Selbstinszenierung eine immer größere Rolle in unserem Alltag spielen, da ist es sinnvoll, sich auf Grund dieser veränderter Parameter mit den entsprechenden Folgen für das Theater und hier eben für das Bühnenbild zu beschäftigen.

Zum einen ist die Präsenz des Bühnenbildes im Rahmen der Kunstrezeption gestiegen, das Bühnenbild erhält eine Aufwertung als Kunstwerk und ästhetische Position, aber eben als Teil des Ganzen eng an den Text, an die Inszenierung, an die Handlung und die Aufführung gebunden. Erich Wunder schrieb einmal, dass das Bühnenbild eine eigene Kunstform sein kann, die Inhalte ausdrückt. Seines Erachtens entspräche der Beruf eines Bühnebildners daher eher dem eines Bilddramaturgen, der einen Gesamtkomplex besetzt, der über Bilder läuft.
 
Andererseits muss sich das klassische Bühnenbild dagegen behaupten, dass Theater immer häufiger außerhalb des Theater-Hauses spielt und in Architekturen zieht, die als Orte ihren eigenen Charakter haben. Hier gelten dann ganz andere Behauptungsstrategien der Bühnenbildarbeit als in einem zunächst neutralen Bühnenraum eines Theaters.

Nicht nur aus diesen Gründen erscheint es mir wichtig, dass wir heute - zum siebten Mal - den Fokus auf die Kunst des Bühnenbildes richten und mit dem - so weit mir bekannt ist - einzigen europäischen Bühnenbildpreis herausragende Bühnenbildkünstler auszeichnen bzw. jungen Nachwuchs fördern können. 

Ich bin sehr dankbar, dass in unserer Stadt, in der das Theater und auch die wissenschaftliche Ausbildung für das Theater eine große Rolle spielen, dass hier die Idee für diese Auszeichnung entstanden ist und kontinuierlich alle zwei Jahre vergeben wird. Mein herzlicher Dank hierfür an die Hein-Heckroth-Gesellschaft und herzlichen Dank insbesondere an die Ideengeberin, die Organisatorin, den Motor, nämlich an Sie, sehr geehrte Frau Wosimsky.

In der Satzung der Hein-Heckroth-Gesellschaft steht:
„Mit dem Hein-Heckroth-Förderpreis sollen junge Künstlerpersönlichkeiten ausgezeichnet werden, die am Beginn ihrer Laufbahn stehen. Alle zwei Jahre wird der Preisträger vom Hauptpreisträger benannt.“ 
Bert Neumann hat Sie, sehr geehrter Herr Aji benannt und Dank der Unterstützung des Goethe-Institutes konnten Sie aus Ihrer weitentfernten Heimat Indonesien anreisen, um den Preis persönlich heute entgegen zu nehmen.

Andy Seno Aji wurde 1978 in Jogyakarta, auf der Insel Java geboren, wo er auch bis heute lebt und arbeitet. Nach einem Studium an der sozial- und politikwissenschaftlichen Universität Gadjah Mada, war er als Bühnenbildner am dortigen Garasi Theater in den Sparten Schauspiel und Tanz tätig.
Bert Neumann entdeckte den Bühnenbildner Andy Seno Aji, als dieser 2007 als Gast nach Berlin kam, um dort an der Volksbühne bei Inszenierungen mitzuarbeiten.
In dieser Zeit hatte er außerdem eine Praktikantenstelle in dem Grafikbüro von Bert Neumann. 

Es ist mir eine große Freude Ihnen, Herr Aji, den Förderpreis 2015 im Namen der Universitätsstadt Gießen übergeben zu können.
Bert Neumann begründet seinen Vorschlag mit folgenden Worten:

„Kunst ist eine Sprache, die auch über kulturelle und geografische Grenzen hinweg Dialog ermöglichten kann. Dieser Preis soll eine Ermutigung sein, in der eigenen Arbeit den emanzipatorischen Aspekt weiter zu verfolgen, der im Werk von Hein Heckroth für die Bühne beispielhaft Ausdruck gefunden hat.“

Und so heißt es in dem Text der Urkunde: „In Anerkennung seiner außergewöhnlichen künstlerischen und bühnenbildnerischen Arbeit.“

Möge Ihnen, sehr geehrter Herr Aji, der Preis auf Ihrem Weg als Bühnenbildner hilfreich sein und Sie ermutigen, Ihren Weg in der Welt der Kunst des Bühnenbildes erfolgreich fortzusetzen.

Ich gratuliere Ihnen herzlich.