Träger des Hauptpreises 2003:
Prof. Erich Wonder

Trägerin des Förderpreises 2003:
Annette Murschetz



Grußwort: Ruth Wagner

Staatsministerin a.D.,
Vizepräsidentin des Hessischen Landtags

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Sehr geehrte Damen und Herren,
es war mir eine große Freude, gemeinsam mit der Hein-Heckroth-Gesellschaft und der Stadt Gießen, als Ministerin für Wissenschaft und Kunst zu Ehren des großen Bühnenbildners erstmals in Hessen einen Preis zu schaffen, der nicht nur an den Namensgeber erinnern soll, sondern auch diese besondere künstlerische Aktivität zwischen darstellender und bildender Kunst fördern soll.  
Die rastlose Arbeit von Hein Heckroth, der diese Sparte der Malerei in unverwechselbarer Weise in das Bühnengeschehen von Farbe, Sprache, Licht, Musik, Gesang und Tanz einbrachte, soll durch die Verleihung dieses Preises auf Dauer gewürdigt werden.

Mit diesem Preis sollen aber auch in Zukunft Bühnenbildner „als Grenzgänger zwischen den Kunstsparten“ ausgezeichnet werden, die gerade jetzt dabei sind, die Computer-Technik, digitalisierte Film- und Videotechniken sowie neue Licht- und Raummöglichkeiten in das alte Bühnenbild einzubeziehen. Damit ist ein Kunstpreis geschaffen, der so bisher in unserem Land noch nicht vorhanden war und der mit Hilfe des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst hoffentlich auch in den nächsten Jahren dazu beitragen wird, Unterstützung und Anreiz für diese interdisziplinäre Kunst zu sein.

Danksagung: Dietgard Wosimsky

Vorsitzende der
Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen e.V.

Es gibt Ziele, Wünsche, Träume – jeder von uns hat sie.
Und wenn es gelingt, ein sich selbst gestecktes Ziel zu erreichen, so beflügelt das und macht dankbar und glücklich.
Mein Ziel war es,mit der Schaffung eines bisher noch nicht existenten Bühnenbildpreises sowie eines Förderpreises den in Gießen geborenen Hein Heckroth und speziell sein bühnenbildnerisches Werk zu würdigen und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.  

Verknüpft damit war und ist mein Anliegen, mit den Preisverleihungen sowohl an hervorragende Zeitgenössische Bühnenbildner als auch an vielversprechende Nachwuchs-Bühnenbildner, in der Theaterwelt des In- und Auslandes Beachtung für die Stadt Gießen und hr Theater zu finden.

Dies alles wäre aber nicht zustande gekommen ohne die Bereitstellung der finanziellen Mittel des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst und der Gießener Stadtverordnetenversammlung. Mein ganz besonderer Dank gilt daher Frau Staatsministerin a.D. Ruth Wagner, ihrem damaligen persönlichen Referenten Herrn Achim Güssgen sowie dem Kulturdezernenten unserer Stadt, Herrn Dr. Reinhard Kaufmann, der sein Engagement heute, mit dankenswerter Unterstützung durch Herrn Hans Goswin Stomps, im Vorstand der Hein-Heckroth-Gesellschaft fortsetzt.

Den Herren Prof. Heiner Goebbels und Prof. Jürgen Flimm danke ich für die ungewöhnliche und unbürokratische Juryarbeit sowie Herrn Schauspieldirektor Martin Apelt, der seinen großen fachlichen Ideenreichtum eingebracht hat.

Danken möchte ich an dieser Stelle jedoch auch all jenen, die sich in den vielen Jahren der Vorbereitung von meiner Begeisterung für diese Idee haben anstecken lassen und als Mitglieder oder Freunde der Hein-Heckroth-Gesellschaft diese Begeisterung noch immer teilen und nach außen tragen.

Sie alle haben durch ihr Engagement und ihre Unterstützung mit dazu beigetragen, daß es heute den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis gibt. 


Begrüßung: Cathérine Miville

INTENDANTIN STADTTHEATER GIESSEN  

Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie zum heutigen Festakt anlässlich der I. Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises ganz herzlich willkommen zu heißen.

Ich stehe hier, wie Sie wissen, auf dem Orchestergraben unseres Hauses – um mich herum unfertige Dekorationsteile – denn hinter mir findet eine so genannte TE statt, die „Technische Einrichtung“ zu unserer nächsten Schauspielpremiere „Der Impresario von Smyrna“. Bei einer technischen Einrichtung wird ein Bühnenbild erstmalig aufgebaut, das heißt, die einzelnen Teile werden aus allen Werkstätten nach oben geschafft und auf der Bühne zusammengefügt: das ist natürlich immer wieder eine spannende Angelegenheit, nicht zuletzt für den jeweiligen Bühnenbildner – und eigentlich ganz passend zur heutigen Feier. Zur Zeit macht unsere Technik Pause, aber wenn es im Hintergrund dennoch vielleicht einmal rumpeln sollte, wundern Sie sich bitte nicht. Damit nicht genug – Sie haben es vielleicht vorhin beim Empfang mitbekommen, wir haben noch eine Veranstaltung im Haus. Im Oberen Foyer feiern zwei Theatergänger, die sich hier bei einer Faust-Vorstellung kennen lernten, ihre schon sehr lange geplante Hochzeit. 
Aber zurück zu unserem Festakt.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem so erfreulichen Grund hier zu begrüßen, ist für mich keine notwendige Pflichtübung, sondern ein gerne wahrgenommener Termin. Und der gut gefüllte Zuschauerraum, Ihre fröhlichen Gesichter oder ein Blick auf die Gästeliste zeigen, daß es nicht nur mir so geht.

Im Hinblick auf die Länge der Gäste-, aber auch der Rednerliste sind Sie sicher damit einverstanden, die nun von mir persönlich begrüßten Gäste erst zum Schluß mit einem gemeinsamen Applaus zu würdigen.
Ich heiße herzlich willkommen:
den Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Graf Dr. Hermann Otto Solms und
das Mitglied des Hessischen Landtages, Herrn Klaus Peter Möller
den Stadtverordnetenvorsteher Herrn Dieter Gail und alle Stadtverordneten
den Regierungspräsidenten Wilfried Schmied und
in Vertretung des Landrates, Frau Meyer-Jaeger.
Ich freue mich über die Anwesenheit
von Bürgermeister Heinz-Peter Haumann und weiteren Magistratsmitgliedern.
Vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst sind Herr Albert Zetzsche und
Herr Achim Güssgen bei uns.
Ich begrüße des weiteren
die Kanzlerin der Fachhochschule Gießen-Friedberg, Frau Eva Bleutke
den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer, Herrn Dr.Wolfgang Maaß
den Intendanten des Staatstheaters Darmstadt, Herrn Gerd-Theo Umberg
die Vertreter der Presse
sowie natürlich auch die Laudatoren Herrn Dr. Günther Rühle und Herrn Prof. Heiner Goebbels
und last but not least ein ganz herzliches Willkommen unseren beiden Preisträgern
Herrn Prof. Erich Wonder und Frau Annette Murschetz.
Aus sehr verständlichem Grund kann Frau Ruth Wagner leider heute nicht bei uns sein, dennoch möchte ich die Gelegenheit nützen, und mich bei ihr bedanken. Herr Güssgen, Sie sind sicher so lieb und geben meinen Dank weiter.
Es ist mir ein Bedürfnis, einer streitbaren Politikerin danke zu sagen, einer Ministerin, die mit scheinbar nimmermüder Kraft, außergewöhnlichem Kunstsinn, großem Engagement und auch beträchtlicher Macht die Interessen von Kunst und Wissenschaft vertreten hat. Der Verzicht auf ihr Amt bedeutet für uns Kulturschaffende in Hessen einen herben Verlust, dennoch habe ich hohen Respekt vor ihrer Entscheidung, von ihrem Amt zu lassen. Ruth Wagner hat viel bewegt, ermöglicht und durchgesetzt. Dafür unser sehr herzliches Dankeschön. Mit ermöglicht und durchgesetzt hat sie auch den Preis, der heute, am 14. April, dem Geburtstag von Hein Heckroth, zum ersten Mal verliehen wird.

Ein Bühnenbildpreis ist eine Rarität. Natürlich wurden und werden immer wieder Bühnenbildner mit Preisen ausgezeichnet. So ging zum Beispiel vor kurzem der sehr renommierte Theaterpreis Berlin an den Bühnen- und Kostümbildner Gert Neumann. Aber einen eigenen, speziellen Bühnenbildpreis, den gibt es meines Wissens bisher in Deutschland nicht. Höchste Zeit also.

Ich sehe es auch als wichtiges Signal, daß neben dem Hauptpreis heute zusätzlich ein Förderpreis vergeben wird.
Junge Ausstatter haben es nicht leicht. Und durch die finanzielle Situation vieler Bühnen wird es für sie noch schwieriger, Fuß zu fassen.Weniger Neuinszenierungen stehen auf den Spielplänen, Sparüberlegungen führen vermehrt zu konzertanten Opernaufführungen oder wie zum Beispiel gerade in Frankfurt zu Projekten, in denen sechs Stücke in einem einheitlichen Raum gespielt werden. Harte Zeiten für junge Bühnenbildner. Schön, daß durch einen neuen, einen eigenen Bühnenbild-Preis heute ein Zeichen gesetzt wird.
Lange Jahre der hartnäckigen und unermüdlichen Vorarbeit waren notwendig. Schwierigkeiten und Rückschläge blieben nicht aus; und dennoch wurde das Ziel nie aufgegeben. Heute ist es soweit – es ist geschafft.Wir feiern die erste Hein-Heckroth-Preisverleihung. Dafür war ein starker Motor notwendig, eine Motivatorin mit kreativem Kopf, unerschütterlicher Zielstrebigkeit und großem Herz. Liebe Frau Wosimsky, liebe Mitglieder der Hein-Heckroth-Gesellschaft, ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu Ihrer Durchsetzungskraft und Ihrem verdienten Erfolg.
Dem Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis wünsche ich eine lange, glanzvolle Zukunft und Ihrer heutigen Veranstaltung gutes Gelingen.

Begrüßung: Dr. Reinhard Kaufmann

Kulturdezernent der Universitätsstadt Gießen und Vorstandsmitglied der Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen e.V.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie sehr herzlich im Namen des Magistrats der Universitätsstadt Gießen und zugleich im Namen des Vorstands der Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen e.V. Angesichts der Anwesenheit von soviel Prominenz einerseits und der knappen Zeit andererseits kann ich nur wenige namentlich begrüßen; dafür bitte ich ebenso um Ihr Verständnis wie für die notwendig gewordenen Änderungen gegenüber dem ausgedruckten Programm!  

Denn der Wechsel an der Spitze des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst und die mit der Neubildung der Hessischen Landesregierung verbundene Hektik haben leider dazu geführt, daß weder Staatsministerin a.D. Ruth Wagner noch ihr Nachfolger, Staatsminister Udo Corts, oder ein anderer Vertreter der neu gebildeten Regierung an diesem Festakt teilnehmen können. So begrüße ich vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst

ganz herzlich Herrn Albert Zetzsche, der der Hein-Heckroth-Gesellschaft bei den ersten Schritten auf dem Weg zur Umsetzung der Idee eines Bühnenbildpreises mit sachkundigem Rat zur Seite stand. Und ein mit herzlichem Dank verbundener Gruß gilt auch Herrn Achim Güssgen, der gleichsam unser „Sesam-Öffne-Dich“ zum Büro der Ministerin war!

Sodann heiße ich herzlich willkommen die Preisträger, Herrn Prof. Erich Wonder aus Wien und Frau Annette Murschetz aus Berlin, sowie die Laudatoren, die Herren Dr. Günther Rühle aus Frankfurt a.M und Prof. Heiner Goebbels von der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Ein besonderer Willkommensgruß in der Geburtsstadt Hein Heckroths gilt seinem Enkel, Herrn Jodi Routh!

Und schließlich möchte ich die Vorstandsvorsitzende der Hein-Heckroth-Gesellschaft, Frau Dietgard Wosimsky, ganz herzlich begrüßen, ohne deren Engagement wir hier nicht versammelt wären, mit seiner erstmaligen Verleihung den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis aus der Taufe zu heben: Sie hat die Idee eines zum Gedächtnis an Hein Heckroth zu stiftenden Bühnenbildpreises aufgegriffen und so lange ebenso hartnäckig wie charmant verfolgt, bis sie genügend Mitstreiter gefunden hatte, die Idee umzusetzen. Verehrte Frau Wosimsky, für Ihren unermüdlichen Einsatz ganz herzlichen Dank!

Und ich hätte an dieser Stelle auch gern Frau Wagner begrüßt, denn mit ihrer Zusage, die finanzielle Ausstattung des Preises aus Sonder-Mitteln des Landes Hessen zu übernehmen, hat sie den Gießener Bemühungen überhaupt erst die erforderliche substantielle Grundlage gegeben.
Meine Damen und Herren, eigentlich sollte der Preis erstmals schon vor zwei Jahren aus Anlaß des 100. Geburtstages von Hein Heckroth verliehen werden, aber damals hatte Frau Wosimsky noch nicht die kritische Masse an Mitstreitern beisammen, daß der Durchbruch hätte gelingen können. Und es war auch nach dem Durchbruch in Wiesbaden im Verlauf der letzten beiden Jahre keineswegs sicher, daß wir 2003 in Gießen den ersten deutschen Bühnenbildpreis würden verleihen können. Um so mehr freue ich mich, daß wir es schließlich – gegen eine nicht geringe Zahl von Bedenkenträgern, von denen es im öffentlichen Leben unseres Landes mehr zu geben scheint als Impulsgeber und die oft genug eine ungewöhnliche Initiative schon in statu nascendi erstikken – doch geschafft haben.

Die Zusage des Landes Hessen, das Preisgeld zu übernehmen,war an die Auflage gebunden, es müsse auch die Stadt Gießen einen finanziellen Beitrag leisten und ein privater Förderverein gegründet werden, der sich um die Vorbereitung und Durchführung der Preisverleihung kümmern sollte. Diese beiden Hürden wurden genommen mit der Gründung der Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen e.V. am 24. Oktober 2001 und mit dem Beschluss der Gießener Stadtverordnetenversammlung vom 12. Dezember vorigen Jahres, im Haushaltsplan der Stadt für das Jahr 2003 eine Haushaltsstelle „Hein-Heckroth-Preis“ auszuweisen und mit € 5.000 zu dotieren. Daß wir diese Mittel nicht allein zur Abdeckung eines Teils der logistischen Kosten der Preisverleihung verwenden, sondern zur Hälfte für einen Nachwuchs-Förderpreis bereitstellen, halte ich für eine kluge Entscheidung.

Nachdem diese beiden Hürden genommen waren,war dann alles andere das im Kulturbetrieb übliche, mühsame Alltagsgeschäft, über das hier nicht zu reden ist. Im Rückblick sei lediglich erwähnt, daß es ein entscheidender und zugleich ermutigender Schritt war, als wir die Herren Professoren Heiner Goebbels und Jürgen Flimm als Juroren gewinnen konnten. Ihnen, Herr Professor Goebbels, und das gilt ebenso für Herrn Professor Flimm, ganz herzlichen
Dank für Ihre Bereitschaft, diese Aufgabe zu übernehmen!

Meine Damen und Herren, als Kulturdezernent unserer Stadt bin ich nicht nur froh drüber, daß wir mit dem Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis einen Sohn unserer Stadt ehren, der in seinem professionellen Metier zwischen 1920 und 1970 weltweite Anerkennung – bis hin zur Verleihung eines Oscar – gefunden hat, sondern ich bin auch davon überzeugt, daß die Stiftung dieses Preises im Rückschluß unserer Stadt zur Ehre gereicht.

Ich danke ganz herzlich allen, die dazu beigetragen haben, daß wir heute, am 102. Geburtstag von Hein Heckroth, zum ersten Mal den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis verleihen können. Alle diejenigen, die daran mitgewirkt haben und die ich jetzt nicht namentlich nennen kann, bitte ich um Verständnis,wenn ich mich expressis verbis bei der Gießener Stadtverordnetenversammlung und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst bedanke. Ich tue das ganz bewußt deswegen, weil es ein wichtiges und lobenswertes politisches Signal ist, angesichts der kritischen Situation der öffentlichen Kassen dennoch Geld für besondere kulturelle Anliegen bereitzustellen, anstelle die Kulturbudgets zugunsten von Haushaltssanierungen zu plündern.

Übrigens: Die Hein-Heckroth-Gesellschaft hat keinen Aufnahmestopp verhängt! An der Garderobe und im Foyer liegen Formulare für Ihre Anmeldung zur Mitgliedschaft aus! Ich wünsche uns allen einen anregenden Abend!

Vielen Dank!


Laudatio auf Hein Heckroth: Dr. Günther Rühle

Ehrenpräsident der Akademie der Darstellenden Künste, Frankfurt/M.

„Erinnerungen an Hein Heckroth“

Erinnerung ist eine sehr ursprüngliche und lebenssichernde Kraft. Jedes Lebewesen, das zu Futterplatz und Tränke zurückstrebt, zeigt es uns. Erinnerung ist auch eine kulturelle Kraft... Sie führt zum Nachdenken im Rasen der Zeit und hält uns vor Augen, dass wir auch im Fortschreiten Erben sind. Erinnerung ist auch eine Form der Dankbarkeit für Geleistetes und Geschenktes. Sie nimmt das Gewesene mit in die Zukunft.

Unter uns, mit uns lebte Hein Heckroth. Maler und Bühnenbildner, ein besonderer Mensch, mit klugen Augen, freudig-gütigem Wesen, arbeitsfroh, mit starker und formender Phantasie. Seine Lebenszeit betrug neunundsechzig, seine Schaffenszeit fünfzig Jahre. Er hat zwei Weltkriege erlebt, die Kunstexplosion von 1910, die bis ins vierte Jahrzehnt seines Jahrhunderts in Deutschland dauerte, das Exil in England, dann in Australien ertragen, meistern und die Millionen von mutwillig Getöteten in sein Bewusstsein aufnehmen müssen. Und hat dann noch die Rückkehr ins Land der Täter gewagt, in dem ein Teil seiner Bilder zugrunde ging.

Wer die Brüche im Leben und in der Arbeit so besteht, war begnadet mit Lebenskraft und mit der Gabe, sich selbst neu ordnend, die Zukunft immer neu und immer wieder mit seinen Mitteln zu fassen. Ausgeliefert den Schrecken gibt auch die grausigste Zeit dem, der bildnerisch denkt, seine Gesichte. Wer menschlich fühlt in den Zeiten der Umstürze, dem dringt die Angst in die Bilder. Wer das Rasen des Zeitstroms empfindet, der auch die Bilder verwandelt, sucht – mitgerissen – die Fixierung im Werk, das eben dieser Zeitstrom durchfließt. Der Bildersaal des Hein Heckroth ist nicht die Dokumentation eines Malers, der, wie Max Beckmann oder Max Ernst, die Zeit an sich riß, um ihr sein Bild von ihr entgegenzuhalten. Der Bildersaal, den Hein Heckroth hätte errichten können, enthält keine Bild-Ballungen, keine visionären Analysen des Ungeheuerlichen. In diesem Projekt unserer erinnernden Phantasie wäre gewiß viel von den Bewegungen und Erschütterungen seines Lebensjahrhunderts festgehalten: Die malerischen und zeichnerischen Fixierungen des jeweiligen Augenblicks, die Gesichte, mit denen er das Erlebte durchdrang, die Vielfalt der Versuche und Methoden in diesem Jahrhundert, Bilder und Hinterbilder der Vorgänge zu geben: man sähe auch in seinem langdauernden Dialog mit den Zeitgenossen. Von den Expressionisten, von Kirchner und Beckmann, Dix und Kokoschka über Schlichter, Schad, George Grosz, Picasso und Matisse bis zu den Surrealisten und Tachisten und die Arbeiten von Bernard Schultze, dem späten Frankfurter Freund. Die Bilder all ihrer Ängste, ihrer Schreie, ihrer Einsamkeiten und Sehnsüchte, ihrer Recherchen von der Auflösung des Menschenbildes und der Zerstörung einer menschenwürdig geordneten Welt spiegeln sich Heckroths Bildern, – aber auch ihre Versuche, das Gesicht, das doch zur Menschenschönheit hin entworfen ist, wieder zu entdecken.

Hein Heckroth war ein Medium dieses Strömens, dieses sich Veränderns, Verwandelns und Neuwerdens. Er sah mit den Augen des Malers, gewiß. Vielleicht war er unter den Malern ein besonderer, einer der bildhaft notiert,was ihn bewegt. Aber wohl mehr noch sah er seine Zeit mit den Augen des Bühnenbildners. Schon früh nahm Heckroth die Welt wahr mit den Augen des Theaters, das ihn anzog und das nicht den Dingen, sondern dem Fluß der Dinge ausgeliefert ist, der Unbeständigkeit, der schnellen Vergänglichkeit, also dem dauernden Wechsel, der das Leben ist und eine Fülle vortäuscht, die doch nur die Masse von Wandlungen ist.

Er gehörte also zu jenen gespaltenen, oder sagen wir gedoppelten künstlerischen Wesen, die sich selbst bilden und begreifen in Entwürfen für andere, die d e r e n Leben Raum, Ausdruck und Hintergrund geben; die sich auch den Aufgaben stellen, die neue Künste – wie zu seinen Lebzeiten Film und Fernsehen – forderten. Er hat ihnen reichlich gegeben und immer war die Verwandlung des Malers in Skizzen, in Entwürfen, in räumliche und körperliche Bewegung das Agens seiner Visionen.

Seine Triumphe in dieser Kunst reichten von dem „Grünen Tisch“ des Kurt Joos über Powells Film „Die roten Schuhe“ (in dessen Oscar-Ruhm Heckroth nach Deutschland zurückkehrte) und „Hoffmanns Erzählungen“ bis zu Staudtes „Dreigroschenoper“, in der er endlich seinen Brecht erreichte, und in seine Zeit an der Frankfurter Bühne, die nochmals ein Neubeginn war am Ort seiner Anfänge. Es wurden fünfzehn Jahre kontinuierlicher, prägender Theaterarbeit, die direkter Konfrontation und Kontrast zu der härteren, gestörteren Bühnenwelt des Teo Otto, die ihre
politische Prägung nie verleugnete. Caspar Neher, Teo Otto und dazu Hein Heckroth: welch eine Spannung in dem Jahrzehnt, in dem wir wieder eine neue Bühnenkunst entwickeln mussten, zwischen 1950 und 1968.

Wer die große Zahl von Hein Heckroths Bühnenentwürfen sieht, nimmt immer den Maler wahr, – aber einen, der nicht das statische, fixierende Bild sucht, sondern fast schon filmisch eine Szene nach der andern setzt, als wärs ein Lebenstanz. Der auf Caspar Nehers Spuren einerseits von Bildsignalen spricht, andererseits sich beschäftigt mit Metamorphosen, in denen surrealistisch – sich Dinge in andere verwandeln, beleben und entschwinden. Heckroth
führte uns nach den grauen Jahren des Nachkriegs die assoziative und die symbolische Kraft, nein, die freie Macht der Farbe vor Augen. Die Entzündung nicht nur der Phantasie, sondern aller Gefühle durch Farbmacht, die sich im Bühnenraum noch verstärkt und später im Farbfilm zum Akteur, zum Mitspieler wurde, den Heckroth – fast avantgardistich – mit entwickelte.

Es ist die Hinterlassenschaft eines ruhelosen Künstlers, der in der Komposition des Bühnengeschehens aus Farbe, Licht, Musik, Tanz, dramatischer Energie einen Traum zu erfüllen suchte: den der bewegten Malerei. In Ballett, Oper und Film fand Hein Heckroth seine Erfüllungen.

Es gibt in solchen Lebensläufen oft Konflikte, die wir Zuschauer ihrer Arbeit nicht kennen. Es ist dann die Frage, ob sich ein drängendes malerisches Talent in der Bühne verzehrt, oder ob es nicht doch von der Bühne zurückflieht ins dauerhaftere Werk der Malerei – wie einst Max Slevogt oder Lovis Corinth. Oder ob es sich bewusst hingibt an das räumliche, symbolische oder magisch-realistische Gestalten eines Spielraums, um endlich dieser Kunst die
noch immer verleugnete eigene Geltung zu verschaffen. Heckroth hat sich der Flucht verweigert und in der Suche nach Symbiosen allem Neuen zugeordnet, um so selbst immer ein Neuer zu werden.

Er suchte nicht nur im Bild die Metamorphosen, er übte sie in sich. Er nahm seinen Begriff von Malerei mit ins Theater und transformierte ihn in jene filmisch-elektronische Medien, die vom Theater mit hervorgebracht worden sind.

Es ist eine stattliche Lebensarbeit, leuchtend – und doch auch wohl noch durchschattet von dem selbst erfahrenen Kummer, dass man den Maler in ihm weniger schätzte als den Bühnenträumer, den Bühnenspieler, den Betreiber der Bühnenkunst. Das aber teilt er mit manchem, der sich in die zehrende Welt des Theaters verlor und dort schöpferisch wurde, ohne darüber den Ursprung seines Tuns zu vergessen. Von Achim Freyer, aber auch Einar Schleef wissen wir, dass sie den Maler in sich höher schätzten als die, die ihre Bühnenarbeit bewunderten. Vielleicht steckt in jenem Verlangen des Bühnenbildners, vor allem als Maler anerkannt zu werden, auch nur die Sehnsucht nach dem Bleibenden, Überlieferbaren und nach dem Bannen des Augenblicks unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit. Vielleicht wird Erich Wonder ja nachher die Schleusen seiner eigenen Seele öffnen.

Hein Heckroth scheute weder Offenheit noch Experiment. Sein Leben ging zu Ende, als auf dem Theater um 1968 die Führung in den szenischen Künsten wechselte, als die Schauspielbühnen, denen er sich nie, bis zuletzt nicht verweigerte, leer geräumt, als Themen vor die Bilder, das politische Engagement vor Phantasie, Traum und Magie der Kunst gestellt wurden. Er nahm auch diesen Wandel wahr mit teilnehmender Aufmerksamkeit. Seine letzten
Bühnenentwürfe galten dieser Bewegung. Zu Michael Powell sagte er damals:„Ich verstehe, was die Jungen betreiben.Wir sollten Geld machen, es ihnen geben für Gewehre, damit sie uns alle erschießen“. Die Jungen von 1919, zu denen Hein Heckroth gehörte, dachten ja nicht anders über ihre Vorgänger. Auch sie schossen mit Metaphern.

Vieles,was damals weggeräumt wurde, kehrt nun langsam wieder über die Erinnerung in unser Bewusstsein und in eine künftige Wirklichkeit zurück, – gewandelt durch das Geschehene. Die Bilder leben nicht ohne das mitgehende Verlangen ihrer Betrachter, auch die Zeit für die Erinnerung an Hein Heckroth kehrt damit zurück... .

Ich nenne es eine glückhafte Entscheidung, dass mit der Stiftung eines Preises in Hein Heckroths Namen der Kunst des Bühnenbildners, die eine so lange Tradition hat, endlich ein rühmendes Forum geschaffen ist. Und: dass der erste Preisträger selbst durch sein bildnerisches Bühnen-Werk den Maßstab für die künftigen setzt und durch sich selbst auch Erinnerung stiftet... . Denn: Erinnerung hilft Überleben, nimmt das Gewesene mit in unsere Zukunft und ist auch eine Form der Dankbarkeit, dass einer da war, der unsere Gedanken bewegt.


Laudatio auf Prof. Erich Wonder:
Prof. Heiner Goebbels


Professor für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus Liebig-Universität Gießen

Bild: Wonge Bergmann

Bild: Wonge Bergmann

Meine sehr verehrten Damen und Herren,  

ich freue mich sehr, heute abend Laudator zu sein, weil, Dir, lieber Erich Wonder, diesen Preis zu erleihen, für mich als Theatermacher eine wunderbare Gelegenheit ist, zurückzugeben, was ich im Laufe der letzten 25 Jahre von Dir bekommen und gelernt habe. In dieser Hinsicht ‘oute’ ich mich gerne auch als Wonder-Schüler.

Als junger Theater-Komponist, ich hatte damals gerade an den Frankfurter Städtischen Bühnen angefangen, habe ich zum Beispiel einen radikalen schwarzen Würfel erlebt, der nur gelegentlich vom gleißend blendenden Strahl eines scheibenwischerartigen Lichtarms ausgewischt wurde. Es war Erich Wonders Raum als starkes Pendant für die Hölderlinschen Verse (nach Sophokles) in Christof Nels Antigone. Ich konnte auch erfahren, welche Musik dieser Würfel erträgt und welche nicht. Und, ich weiß das nicht mehr genau, vielleicht hat mich dieser schwarze Würfel auch dazu angeregt mit dem antiken Chor, der in heutigen trivialen bunten Kostümen auftrat, einen Schlager einzustudieren; das war mühsam, denn der Refrain ging:

„Ene mene ming mang ping pang ene mene acka dacka eia weia weg“

Der Raum hat die bewußt ‘ungeheuerliche’ ästhetische Fallhöhe ausgehalten, im Gegenteil:

er gewann an Instanz und Form. Mit diesem Raum hatWonder auch schlagend bewiesen,dass starke Räume und starke Bilder dem Zuhören eines Textes nichts wegnehmen müssen.Im Gegenteil – da sie so ihre Unabhängigkeit großzügig unter Beweis stellen, und sich nichteinlassen auf kleinteiliges Illustrieren – können sie ein empfindsames Hören befördern, das inden Theatern selten geworden ist.

Später haben wir zusammen an zwei freien Projekten gearbeitet, an „Scratch“, eine Rauminszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus, und ich konnte mitbekommen, wieschwierig es ist, ständig, in Sicht- und Hörweite über den Köpfen des Publikums einen Panzerrollen zu lassen. In „Maelstromsüdpol“ unserer Aktion zusammen mit Heiner Müller konnteich dabei sein, wie Erich Wonder auf ortsspezifische Perspektiven außerhalb der Theater reagiert: wie er bei der documenta in Kassel die Mittelachse der Karlsaue aufnimmt (mit tatkräftiger Hilfe der örtlichen Bundeswehr), wie er unter den mißtrauischen Augen der Grenzsoldaten und ihrer Feldstecher den Landwehrkanal entlang der Berliner Mauer in einen magischen Sog verwandelt, und wie er in Linz bei der ars electronica die glühenden Abstiche im Stahlwerk aufgreift und brennende Männer vor fahrende Züge laufen läßt – dabei immer die vorgefundenen Kräfteverhältnisse auf den Punkt bringt, für sich nutzt, und die Balance findet,ausreichend bildnerische Impulse zu liefern und dennoch den Köpfen der Zuschauer freien Raum zu lassen – wenn man mal von dem Panzer in Düsseldorf absieht.

Und in den gemeinsamen Arbeiten mit Ruth Berghaus „Dantons Tod“ am Thalia Theater in Hamburg und „Penthesilea“ am Burgtheater Wien, konnte ich erleben, wie strukturbildend dieaus der industriellen Recherche gewonnenen Bilder für die Stücke sein können, wieviel sie mit der Mechanik der Texte von Büchner und Kleist zu tun haben, wenn sie klug übersetzt ins Theater geholt werden. Auch hier hattest Du wieder großen Einfluß auf meine Klangarbeiten und Kompositionen. Mit Schächten, Sandgruben und einem Stahlarm, der periodisch die Spuren der Schauspieler im Sand immer wieder glatt streicht und die Erinnerung an die Schlachtszenen auszulöschen versucht.

Im Gegensatz zu vielen Kollegen definiert Wonder die Bühne immer wieder anders, er repetiert nicht immer nur eine Ästhetik; er findet / erfindet neue Herausforderungen für seine Perspektiven. Nur so ist auch zu erklären, was mich zunächst verwundert hat, dass er Mitte der Neunziger Jahre plötzlich einen Ehrgeiz für Interieurs entwickelte, also für geradezu klassische, konkrete Innenräumen – fast mit Sofa und Schrankwand – dabei ließ er allerdings nichtdie Wonder-spezifische Überzeichnung und Dimensionierung außer acht, ohne die solche Räume schnell zum willfährigen Requisit der Schauspieler werden oder zum allzubekannten Abziehbild unserer Erfahrung. Auch hier bestand er auf dem Trugbild: wenn am Fenster die Welt vorbeifährt, und das Fenster gleich mit, aber in die andere Richtung, und der Flügel, andem Bach gespielt wird, sich auch noch zu drehen beginnt, – wie in meinem Stück „DieWiederholung“ – weiß das Publikum schlußendlich nicht mehr, ob es sich in einem Traum befindet, in einem Film oder vielleicht in einem Theater à la Wonder – den, wie ein Kritiker einmal formuliert hat,„nur ein dunkler Vokal von dem trennt, zu dem er befähigt ist: kleine und große Wunder“.

Um ihre Zeit nicht über Gebühr zu beanspruchen, überlasse ich alles Enzyklopädische Ihrer Suchmaschine. Dass er Österreicher ist, hört man, mit welchen Regisseuren Wonder gearbeitet hat, ist mittlerweile müßig aufzuzählen (so etwas macht man am Anfang einer Karriere...), vor allem wenn jemand wie Erich Wonder an nahezu allen wichtigen europäischen Opernhäusern und Theatern gearbeitet hat – und daß er Anfang der 70er Jahre als Ausstattungsleiter an den Städtischen Bühnen Frankfurt die unmittelbare Nachfolge von Hein Heckroth angetreten hat, ist nicht der Grund, warum er heute hier ist, es ist nur ein wunderbarer Zufall. Reden wir weiter über seine Arbeit dafür.

„Trau keinem Auge“ hat Erich Wonder einmal gesagt, und wer ihn nicht kennt, könnte glauben, es schwinge ein moralischer Unterton mit; dabei ist er heilfroh darüber und nützt dieses unser Defizit schamlos aus. Man kann bei Wonder seinen Augen wirklich nicht trauen. Warum schwebt der Konzertflügel über dem Bühnenboden wie ein Metronom, und wieso schneit es dann auch noch in einem Stück wie Heiner Müllers „Auftrag“, das doch eigentlich in Jamaica spielt? Und wie schafft er es, dass das riesige Stadion, in das wir eben noch – zu größenwahnsinnigen Texten von d´Annunzio – geblickt haben, plötzlich voller Bäume steht,wenn ich mich überhaupt richtig erinnere, oder war es doch ganz anders?

„In einer Zeit der optischen Überflutung“ sagt Erich Wonder würden Theaterbilder immer wichtiger; es gehe ihm darum, „Rätselbilder zu schaffen, Geheimnisse zu wahren.“ Damit und dafür sind wir ihm dankbar, geht er genau den entgegengesetzten Weg, den das Theater in den letzten Jahren auf der Jagd nach neuen Zuschauerschichten oft gegangen ist: sich dem schlechten Geschmack der Medien anzubiedern, zu kalauern, auf billige Weise Figuren zu denunzieren, und sich im trash der Ausstattung zu überbieten.

Er formuliert auf der Bühne ein selten gewordenes Argument für die Kunst; für die Fremdheit in den Bildern, deren Verständnis nie restlos aufgeht. Er verschafft den Theatern, die doch so auf Nähe zum Publikum versessen sind, eine Weite. Plötzlich tun sich auch auf kleinen Bühnen endlose Perspektiven auf, die man ihnen nie zugetraut hätte. Und er schafft damit den Betrachtern eine Offenheit, um die uns vielleicht die Medien eines Tages beneiden werden.

Manches mal konnte man sich dabei auch des Eindrucks nicht erwehren, die Regisseure wären nicht immer in der Lage gewesen, mit den ihnen gestellten szenischen Aufgaben seiner Räume wirklich zu arbeiten; dann haben sie diese reduziert auf das, was ihnen in der Regel ein Bühnenbild ist: nämlich Kulisse. Vielleicht sagen Sie ja jetzt,was kanndenn ein Bühnenbild anderes sein? Was ist der Unterschied zwischen einer Kulisse und den Räumen Erich Wonders?

Kulissen, sehr vereinfacht gesagt, unterstützen die Überlegungen der Autoren, Dramaturgen und Regisseure, indem sie Zeichen sind, indem sie fiktive Welten und Zeiten repräsentieren die so auf der Bühne nicht vorzufinden sind. Und uns für die Dauer eines Abends glauben machen wollen, wir sähen ein Wohnzimmer mit Schrankwand, ein Sommerhaus am See, ein Wald voller Bäume, ein Schiff am Horizont. Das steht meistens schon so im Stück, ist mal bessermal schlechter gemacht oder übersetzt und dient der Erzählung. Und man könnte auchsagen, das ist auch gut so. Wonder macht etwas anderes – wie kein Anderer. Selbst dann, wenn er die gute alte Prospektmalerei wieder neu erstehen läßt.

Wenn er scheinheilig behauptet „ich versuche immer den handelnden Personen einen Lebens- und Aktionsraum zu geben, in dem sie wie selbstverständlich zu hause sind“ ist das reines Understatement. Vordergründig bedient er sie nicht. Im Gegenteil: er formuliert Widerstände, strukturiert mit Licht und Bauten Hindernisse, die dann aber, wenn sie von den Regisseuren klug genutzt werden, die Darsteller in einem gesellschaftlichen Licht erscheinen lassen; das kann mal menschlich sein, und mal unmenschlich – so ist das Leben und das möchte Wonder dem Theater nicht ersparen.

In Wirklichkeit setzt er den Schauspielern also etwas entgegen. In Wirklichkeit heißt aber auch, und genau das meinte er mit dem gerade zitierten Satz, versucht er ihnen einen Raum zu bauen, der ihnen eine andere, eine Theaterwirklichkeit anbietet. Keine vorgebliche, sondern eine, an die sie sich halten können, halten müssen: der Panzer in Düsseldorf, Schächte in Hamburg und Sand in Wien, genau definierte Lichträume in Frankfurt u.v.a.m. – einen Raum, der gerade darin wieder eine eigene Maschinerie darstellt, die bezwungen werden muß. Das ist der Unterschied zur Kulisse.

Dabei gelingt die Gratwanderung, den künstlerischen Anspruch an dieses Handwerk weder aufzugeben, noch gegen die Stücke zu wenden. Auch wenn er selbst dem verbreiteten Gerücht, er lese die Stücke gar nicht, immer wieder Nahrung gibt, und ich es zumindest in einigen Fällen auch bestätigten kann (zumindest liest er sie nicht einfach von vorne nach hinten): immer sind es seine Räume, die auf einer übersetzten, manchmal abstrakten, aber strukturell schlüssigen Ebene einen Großteil der inszenatorischen Arbeit bereits vorgeben. Durch seine Weichenstellung ist diese sehr genau vorbereitet, Akt für Akt, Szene für Szene, Auftritt für Auftritt, wenn auch manchmal aus niederen Motiven schon allein deswegen, damit er nicht so oft auf die Proben kommen muß.

Es ist eine Besonderheit seiner Arbeiten, und vielleicht die einzig wiederkehrende Konstante in den so unterschiedlichen Bildwelten, daß immer wieder mehr oder weniger direkte Referenzen auf die Arbeit des amerikanischen Malers Mark Rothko aufgenommen werden; (sehr prominent zum Beispiel in seinem Bühnenbild für Tristan und Isolde – Heiner Müllers Inszenierung in Bayreuth); Mark Rothko, der bekannt wurde für seine zunächst sehr farbigen und gegen Ende seiner Arbeiten immer dunkler werdenden magischen, überdimensionierten Rechtecke. Vielleicht gibt uns die Frage, warum Rothko so gemalt hat, auch eine Antwort auf die Motive von Erich Wonder:

„Ich male sehr große Bilder. Mir ist klar, daß es historisch gesehen die Funktion großer Gemälde ist, etwas Grandioses und Pompöses zu malen. Der Grund warum ich sie male, dagegen ist genau die Tatsache, dass ich sehr intim und menschlich sein möchte. Ein kleines Bild zu malen heißt sich selbst außerhalb der Erfahrung zu plazieren, auf eine Erfahrung zu schauen wie mit einem Fernglas oder einem Verkleinerungsglas. Wenn Sie im Gegensatz dazu größere Bilder malen, sind Sie mitten drin. Es ist nicht mehr etwas, was Sie kontrollieren können.“

Das heißt auf die Räume Wonders übersetzt: er provoziert damit, dass Schauspieler in den Räumen / dass Zuschauer mit den Räumen Erfahrungen machen können, und dabei einer andern Instanz unterworfen sind; dabei, wie es Rothko für sich formuliert hat, auch die Erfahrung machen, „nicht selbst alles kontrollieren zu können“. Das sind gesellschaftliche, politische Erfahrungen, über die uns seit der antiken Tragödie die Theaterstücke viel erzählen wollen. Wonder hat jetzt auch die Bilder dafür.

Der neu ins Leben gerufene Hein Heckroth Bühnenbildpreis ist gemäß den Ansprüchen seines Paten ein Theaterpreis, aber auch ein Kunstpreis. Dieses erste Mal ist es der Jury, Jürgen Flimm, Frau Wosimsky und mir, sehr leicht gefallen, diesem Doppelcharakter zu entsprechen. Das nächste mal wird es schon schwieriger werden. Ich danke Dir auch persönlich, lieber Erich, für die – wie Du sie am besten genannt hast – „Zwischenräume und Nachbilder“ – und bin neugierig auf das, was als nächstes kommt. Diese Räume, und das ist ihr Qualität, klingen lange nach, – wie der im rot beleuchteten Kreis herumgeführte Schäferhund im Schiffsbauch eines Lastkahns auf der Donau – und brennen sich ein in die Sinne der Betrachter. Deswegen schließeich mit einem Ernst Jünger Zitat, das Heiner Müller Dir einst auf einen Zettel gekritzelt hat:„Die Bilder sind das Urgestein der Kulte, sie leben länger als die Götter, zu deren Ehren sie errichtet wurden“. Dazu beizutragen, danken wir Dir.


Gedanken über Annette Murschetz

geschrieben von Malin Schwerdtfeger

„Mit doppeltem Wohnsitz oder von Vermietern, Mietern und Untermietern“
Annette Murschetz ist eine großzügige Vermieterin. Ihre Räume bringen die Schicksale und Obsessionen ihrer Bewohner, ihre Unglücke und Lieben erst richtig zum Blühen. Annette Murschetz’ Räume machen ihren Bewohnern keine Vorschriften, sie dominieren sie nicht und sehen ganz so aus, als könnten sie auch ohne sie existieren. Ihre Räume haben eine eigene Stimmung, die, meint man, auch dann noch bleibt, wenn die Mieter und Untermieter weg-, um- und weitergezogen sind.
Mit Umzügen kennt sich Annette Murschetz aus, denn kaum hat sie sich irgendwo eingerichtet, braucht man sie woanders. Das gilt vor allem für Wien und Berlin: Sobald eine der beiden Städte zum Zuhause wird, meldet sich die andere, und es muß umgezogen werden, Hauptwird wieder zum Nebenwohnsitz und umgekehrt.

Die beiden Murschetz-Hauptstädte: In der österreichischen fing es an. In Wien lernte sie bei Erich Wonder, und zwar unter anderem eines: Die Theaterwelt nicht allzu ernst zu nehmen, sich ihr nicht ehrfürchtig unterzuordnen, keine Bühnenbilder zu schaffen, die sich dem Stück mit akademischer Akribie unterwerfen, sondern Räume, die persönlich sind, weil sie aus eigenen Visionen entstehen, die eine besondere subjektive Athmosphäre haben und gerade
dadurch auch den Figuren Tiefe geben.Wonder, von dem Heiner Müller sagte, er habe seine Stücke wahrscheinlich nie gelesen, sondern nur daran gerochen, ist so ein Bilder- und Bauchmensch, von dem Annette Murschetz eben deshalb nicht direkt übernommen, sondern für ihre eigenen subjektiven Bilder gelernt hat.

Die Verbindung Wonder-Müller war es, die Annette nach Berlin brachte, und zwar zu einer Zeit, in der die reale Welt dem Theater geradezu die Show stahl: Im Herbst 1989 inszenierte Heiner Müller „Hamlet/Hamletmaschine“ am Deutschen Theater. Bühnenbild: Erich Wonder. Assistenz: Annette Murschetz. Hauptwohnsitz also plötzlich: Ostberlin. Das Theater stellte ein Zimmer zur Verfügung, inklusive Pritsche und Nierentisch, und die gebürtige Münchnerin und Wahl-Wienerin Annette Murschetz war zwar sehr beeidruckt von der Kunst, einzelne Betonplatten mit viereckigen Fensterscheiben darin zu ganzen Häusern zusammenzusetzen, aber davor, dort zu wohnen, grauste ihr dann doch. Also nahm sie sich ein Untermietzimmer im Westen, um jede Nacht, von den Proben heimgekehrt, am Ludwigkirchplatz (West) die vielen Eindrücke (Ost) mit ihrer Vermieterin und bald auch besten Berlin-Freundin nachzubesprechen: Dass bei den Montagsversammlungen im Deutschen Theater die Stasi tatsächlich in Ledermänteln und Hüten vor der Tür stand. Dass der Werkstättenleiter des Deutschen Theaters – die Malersäle grenzten direkt an den Todesstreifen – eines Tages tatsächlich den drohenden Bescheid vom Grenzschutz bekam, dass vom Dach der Theaterwerkstatt aus Flaggensignale in den Westen gegeben würden – jemand hatte dort frisch eingefärbte Seidenstoffe zum Trocknen aufgehängt.

Als österreichische Staatsangehörige konnte Annette jeden Tag über den Checkpoint Charlie zur Arbeit fahren – und damit nahm eine weitere große Karriere ihren Anfang: die als Schmugglerin.Hinausgeschmuggelt werden aus der DDR mußte vor allem das Honorar, und zwar in Form von Naturalien: Bücher, Küchengeräte, Unterwäsche. Hineingeschmuggelt wurde alles,was eben in einen Fiat Uno paßte: Stoffe, Farben, Baumaterial. Gar nicht daran zu denken, dass die DDR-Regierung gerade auch noch ein paar andere Probleme haben könnte, als Tülls und Seidenmalfarben unter Frau Murschetz’Vordersitz aufzuspüren! Wie auch immer: Es ging um so hochbrisante Aktionen, wie einen Küchenmixer in Einzelteilen über die Grenze in den Westen zu schmuggeln, und tatsächlich: die DDR überlebte es nicht!

Im November fiel die Mauer, und während die Proben zu „Hamlet/Hamletmaschine“ noch im real existierenden Sozialismus begonnen hatten, fand die Premiere statt, als der eiserne Vorhang längst in Fetzen hing.

Seitdem hat Annette Murschetz mit vielen großen Regisseuren und in vielen großen Städten gearbeitet, von Andrea Breth über Jürgen Flimm bis Alfred Kirchner, von Amsterdam über Hamburg bis Wien. Sie hat, als großzügige Vermieterin, ihre Bühnenräume vielen Figuren zur Verfügung gestellt. Aber mit Heiner Müller und Erich Wonder fing es an, und die Zusammenarbeit mit ihnen hat Annette Murschetz besonders geprägt – eben diese sieben Monate, als sie aus dem gmiadlichen Wien mitten ins Berliner Wendespektakel geriet.

Seitdem pendelt sie zwischen diesen beiden Städten. Und jeder dieser Städte ist es zu wünschen, daß sie sich nicht ganz endgültig für die andere entscheidet.